Hey, tickt Ihr noch ganz richtig?

Regisseur Johannes Naber packt mit dem Politthriller „Curveball“ erneut ein heißes Eisen an. Wir sprachen mit Hauptdarsteller Sebastian Blomberg über die unglaublichen Vorgänge, Verschwörungstheorien und die Schwierigkeiten, in Deutschland ambitionierte Filme zu machen.

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© Sten Mende

Herr Blomberg, die wahre Geschichte hinter „Curveball“ ist wenig bekannt. Was fanden Sie an Ihrer Filmfigur spannend?

Ich spiele diesen Biowaffenexperten beim BND. Er versündigt sich, indem er sein Wunschdenken, Belege für Saddams Biowaffen zu finden, über alles stellt. Das ist der Ausgangspunkt für ein Desaster, das in größerem Zusammenhang steht. Es hat die Amerikaner dazu bewogen, falsche Informationen als politischen Pfand einzusetzen um in den Irak einzumarschieren. Es ist eine deutsche Farce, die letzlich zur Weltgeschichte beiträgt.

Ist diese Figur ein Don Quixote, unfähig, zwischen Dichtung und Wahrheit zu unterscheiden, aber mit den Ambitionen eines edlen Ritters?

Ich habe lange nach einem Vergleich gesucht, aber ja: Wolf ist eine Figur, die aus noblen Beweggründen das Richtige will und das Falsche tut. So landet er in diesem Desaster, mehr oder weniger freiwillig, aber zumindest mitverantwortlich. Er ist ein klassischer, tragischer Held, weil er aus dem Zwiespalt, in dem er sich befindet, nicht herausfindet. Als er der Aufklärung der Dinge auf die Sprünge helfen möchte, kann er es nicht mehr. Das Rad der Geschichte hat sich weitergedreht, weil die politischen Kräfte, die daran mitwirken, weit stärker sind als er. Es passiert nicht so oft, dass solche Geschichten bei uns mit Mitteln der Komik erzählt werden. Ernstes wird für gewöhnlich ernst rezipiert und Lustiges komisch. Hier ist es ein bisschen anders, eher der englischen oder amerikanischen Erzähltradition anverwandt. Das hat mir Spaß gemacht.

Erinnern Thema und Stimmung des Filmes bewusst ein wenig an „Schtonk!“?

Nicht, dass ich wüsste. Aber bitte: Helmut Dietl war einer der wenigen Filmemacher bei uns, die sich auf das satirische Erzählen verstanden haben. Vieles, was uns in „Curveball“ abstrus vorkommt, ist wahr. Bestes Beispiel ist die auf eine Serviette gekritzelte Geheimdienstinformation. Den realsatirischen Anteil der Originalgeschichte haben wir nur aufgegriffen und weitergeführt: Kompetenzgerangel, Missverständnisse, miserable Kommunikation, Eitelkeiten. All diese Dinge, die in Deutschlands Amtsstuben sicher auf vielen Ebenen präsent sind. Daran haben wir uns mit Freude abgearbeitet.

Momentan gedeihen Verschwörungstheorien prächtig. Geschichten wie diese zeigen, dass gesunder Zweifel berechtigt ist. Wo liegt die Grenze, ab der es gefährlich wird?

Eine interessante Frage. Wir könnten jetzt über den Quatsch sprechen, der so kursiert. Dem sind im Augenblick keine Grenzen gesetzt. Wenn ein Staat sich auf frisiertes Geheimdienstwissen verlässt, kann es mit dem Vertrauen in eine Regierung nicht weit her sein. Da geht es immer nur um das, was einem selber im nächsten Wahlkampf hilft. Dass Geheimdienste so operieren, ist kein Geheimnis, nur im Detail natürlich nicht wirklich offen. Da haben Edward Snowden, Assange und andere beträchtlichen Anteil, uns zu offenbaren, wie planvoll an der Durchleuchtung von Menschen und Datensammlungen vorher unbekannten Ausmaßes gearbeitet wird. Das ist eine Schweinerei und sie sind Helden, Punkt.

Zum Beispiel?

Das Verhältnis der Geheimdienste ist eine Art Tauschverhältnis. Informationen sind Ware. Natürlich arbeitet man zusammen, wenn es um einen gemeinsamen Feind geht. Aber wenn es Spitz auf Knopf steht, dann geht es um knallharte Durchsetzung nationaler Interessen. Davon erzählen wir im Film. Das ureigene Interesse der Amerikaner war an diesem Punkt, einen Schuldigen für die Terroranschläge zu finden. Jeder wusste, dass Saddam nichts mit 9/11 zu tun hatte. Aber man musste jemanden finden, den man anstelle von Osama Bin Laden dingfest machen konnte. Es ging um die Satisfaktion, es ging darum, das geschundene Selbstbewusstsein der Amerikaner zu reparieren. Das hatte auch hohen, psychologischen Anteil. Dafür sind die Amerikaner bereit, über Leichen zu gehen.

Der Film regt an, über die Verantwortung nachzudenken, die man im eigenen Berufsfeld trägt. Rufen Sie sich das auch immer mal wieder ins Gedächtnis?

Ich will mich nicht rausreden, aber als Schauspieler bin ich immer derjenige, der zum Tanz aufgefordert wird. Ich muss darauf warten, dass mir ein Stoff vor die Füße klatscht, der meinen Wunsch zur Äußerung trifft. Ich kann das in der Interpretation von Figuren nur so weit tun, wie es der Stoff zulässt. Aber natürlich versuche ich, in der Auswahl der Stoffe, Neues zu erzählen und nicht in Plattitüden zu landen. Johannes könnte ein Lied davon singen, wie anstrengend es ist, in Deutschland einen solchen Film zu machen, heilige Scheiße! Es ist Sisyphusarbeit. Du musst schon wirklich bereit sein, im gesundheitsgefährdenden Ausmaß an Stoffe und solche Geschichten zu glauben, um sie einigermaßen ordentlich ins Kino zu bringen.

Können Sie das näher erläutern?

Die Umstände und Entbehrungen, unter denen solche Filme entstehen, sind unglaublich. Da hast du den Eindruck, gegen Windmühlen zu kämpfen, nur, um deiner künstlerischen Vision folgen zu dürfen. Johannes musste unterwegs permanent Entscheidungen treffen, Szenen kürzen, rausschmeißen. Das nennt sich dann euphemistisch die Geschichte vereinfachen, weil die Kohle wieder nicht reicht. Da befindest du dich im permanenten Krisenmodus. Es gibt keine Vorbereitungszeit, Schauspieler müssen zack auf der Matte stehen und die Dinge parat haben. Du bist maßgeblich für die Entstehung eines Filmes mitverantwortlich. Du bist auch zuständig, die Moral der Truppe oben zu halten, musst den Leuten vermitteln, dass es wichtig ist, was sie tun, weil die teilweise schlecht bis scheiße bezahlt werden. Ich freue mich immer, über ein tolles Ergebnis sprechen zu können – aber es könnte noch viel toller sein.

Fühlen Sie sich in Deutschland sicher?

Zu sicher, vielleicht. Zu versichert und zu sicher. Aber das sind keine nationalen Bedrohungsszenarien, die einem Unsicherheit verschaffen, das hat mit der Klimakrise zu tun. Ich glaube, wir können alle unterschreiben, dass es hierzulande ein hohes Maß an Verunsicherung gibt, was unser Leben und unsere Zukunft betrifft. Ich habe das Gefühl, wir rudern in die verkehrte Richtung. Es sind falsche Sachen wichtig und die richtigen unwichtig geworden. Wir haben aus dem Blick verloren, worum das Leben gehen sollte.

Sie leben in Berlin. Mit was für einem Gefühl fahren Sie heute am Berliner BND-Komplex vorüber?

Wenn ich das Gebäude sehe, dann denke ich so: „Hey, tickt Ihr eigentlich noch ganz richtig?“. Es ist für mich ein totaler Anachronismus, dass sich ein Geheimdienst so ungeheim und repräsentationswichtig einen Gebäudekomplex hinbauen lässt, der vom geschädigten Selbstbewusstsein erzählt. Der BND war nie ein wichtiger Geheimdienst, ganz ehrlich. Und das Gebäude ist lachhaft, ein totaler Witz. Ich fand Pullach den viel besseren und adäquateren Ort. Man hat den Eindruck, der BND war jetzt shoppen und hat sich einen riesigen SUV vor die Haustür gestellt. Das denke ich als erstes, wenn ich am Gebäude vorbeifahre.


Zum Film:

Manche Geschichten klingen nach dem Reich der Fantasie, wüsste man nicht, dass sie sich so ereignet haben. Diese Story, die Regisseur Johannes Naber („Zeit der Kannibalen“) dem Vergessen entrissen hat, fällt klar in diese Kategorie.

Der BND-Biowaffenexperte Wolf (S. Blomberg) hat nach dem 11. September 2001 im Irak jeden Stein umgedreht. Die vermutete Anthrax-Produktion hat er nicht aufgespürt. Unverrichteter Dinge zurückgekehrt, lässt das Thema den Wissenschaftler nicht los. Just da bekommt es Wolf mit dem irakischen Asylbewerber Rafid Alwan zutun, der behauptet, an Saddams Massenvernichtungswaffenprogramm mitgearbeitet zu haben. Die Geheimdienstler ahnen nicht, dass sie in großem Stil veräppelt werden. Rafid holt in Befragungen das Blaue vom Himmel herunter, bekommt dafür eine komfortable Wohnung. Auch ein deutscher Pass wird ihm unbürokratisch in Aussicht gestellt. Er erfindet die Mär von Chemiefabriken auf Trucks, die ständig ihren Standort wechseln. Der BND jubiliert und teilt die spektakulären News allzu gern mit den Waffenbrüdern. Als sich US-Außenminister Colin Powell 2003 vor dem Weltsicherheitsrat für den Sturz Saddam Husseins stark macht, stützt er sich auf die imaginären Beweise Made in Germany.

Johannes Naber entwirft in „Curveball“ – so Rafids Deckname – ein Bild des BNDs, der aufgrund von Bürokratie, Eitelkeiten und Geltungssucht den Wald vor lauter Bäumen nicht sieht. Dafür wählt er einen wunderbar satirischen Ton, der den Zuschauer an Dietls Meisterwerk „Schtonk!“ erinnern mag. Mit Blomberg und Dar Salim hat man das perfekte Hauptdarstellerduo gefunden. Es macht Spaß, sich diese politische Tragikomödie anzuschauen. Die furchtbaren Auswirkungen des unbegreiflichen Geschehens verliert man aber nie aus den Augen.

Curveball, Kinostart: 9. September

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