Daniel Brühl: „Ich kann bei der Arbeit durchaus kompliziert sein“

© Concorde Filmverleih

Als wir Daniel Brühl in Berlin zum Gespräch treffen, trägt er einen imposanten Schnauzer

Daniel Brühl: Ich spüre den verwunderten Blick. Der Schnurrbart ist für meine Rolle in der internationalen Fallada-Verfilmung „Jeder stirbt für sich allein“. Vincent Perez führt Regie, Emma Thompson und Brendan Gleeson spielen mit.

Ist es nicht seltsam, Fallada auf Englisch zu drehen?

Klar. Vor allem, wenn man als Deutscher die Geschichte im Original gelesen hat. Diese Berliner Gossensprache, die Fallada geschrieben hat, ist herrlich. Wir werden in Berlin, Görlitz und Köln drehen.

Denken Sie gelegentlich an Ihren Karrierebeginn bei der Vorabendserie „Verbotene Liebe“ zurück?

Auch mit flaumigem Schnurrbart damals. Ich schäme mich nicht dafür, es war eine sehr lehrreiche Zeit. Mit 15 habe ich damals mein erstes Geld verdient. Ich war ein Kid von der Straße, trug eine Lederjacke und hatte eine weiße Ratte, die ständig meine Jacke vollgeschissen hat. Ich habe mal mit ein paar Kollegen einen lustigen Abend verbracht, bei dem wir uns die Leichen im Keller angeschaut haben, also unsere Anfänge. Ich darf leider nicht sagen, wer noch dabei war.

In „Die Augen des Engels“ spielen Sie einen Regisseur in der Schaffenskrise. Hatten Sie selbst schon solche Tiefpunkte?

Durchaus, wenn auch nicht so heftig wie bei Thomas. Von außen mag die Wahrnehmung eine andere sein, aber von meiner Seite gab es schon Phasen, in denen ich mit der Situation, mit den Filmen oder der eigenen Arbeit nicht so zufrieden war. Viele Dinge, die Thomas passieren, konnte ich nachvollziehen. Ich habe in meinem Umfeld Trennungen erlebt. Leute mit Kindern gehen getrennte Wege und ich beobachte, wie schmerzhaft das sein kann. Ich empfand große Empathie für diese Figur.

Im Film liefert Skype den Ersatz für persönlichen Kontakt. Wäre das für Sie eine Alternative?

Wenn ich mit Regisseuren skypen soll, weigere ich mich für gewöhnlich. Ich kann mich nicht konzentrieren und sehe auf diesem Bildschirm völlig bescheuert aus. Ich hasse das. Skypen ist echt abartig. Ich habe jetzt auch das ganze Social Media-Ding komplett sein lassen. Es gab kurzzeitig und halbherzig eine Facebook-Seite, die ich nicht persönlich betrieben habe. Das lasse ich auch bleiben.  

Inwiefern ist Ihre Filmfigur ein Alter Ego von Michael Winterbottom?

Das war die erste Frage, die ich ihm gestellt habe. Er selbst verneint das, aber ich glaube, sie ist das total. Ich habe mich öfter mit der Journalistin Barbie Latza Nadeau getroffen, die das Buch „Face of an Angel“ geschrieben hat und betreuend am Film mitwirkte. Sie sagte, ich wäre auf jeden Fall eine Mischung aus Michael und dem Drehbuchautoren. Sie hat mich mit Journalisten zusammengebracht, die den Fall über Jahre hinweg betreut haben. Kate, Michael und ich waren zum Abendessen bei ihr zu Hause in Rom geladen. Später haben wir auch dort gedreht, Kates Wohnung im Film ist die echte. Es war ein Essen mit zehn Journalisten. Beide Lager waren dabei, jene, die an Amanda Knox‘ Schuld bzw. Unschuld überzeugt sind.

Was haben Sie von diesem Abend in erster Linie mitgenommen?

Wir Schauspieler werden ja immer gefragt, wie man es schafft, wieder Abstand von einer Rolle zu gewinnen. Aber gegen diese Journalisten ist das ein Witz. Sie haben diesen Fall jahrelang verfolgt und er ist völlig in ihr Leben übergegangen. Sie vertreten ihren Standpunkt mit einer Vehemenz, als gehörten sie zur Familie des Opfers oder der Tatverdächtigen. Die Emotionen schlugen hoch, als sie über den Fall geredet haben. Sie sind sich richtig ans Leder gegangen. Das hat mich sehr beeindruckt und beunruhigt.

War es Ihnen wichtig, dass der Film selbst keine Urteile fällt?

Ich war schon immer ein Fan von Michaels Arbeit. Aber dann bekam ich dieses Drehbuch. Die Kombination aus dem Fall und dem Namen Michael Winterbottom wirkte merkwürdig. Es war klar, dass der Blickwinkel ein sehr schräger sein würde, also typisch Michael. Eine ganze Ebene im Film zeigt, wie Meinung gebildet wird und inwiefern Meinungen vorgefertigt sind. Wie kann man über ein solches Thema einen Film machen? Man kann es eben nicht. Das ist ja auch die Lehre, die Thomas daraus zieht.

Welche persönliche Meinung haben Sie sich im Mordfall gebildet?

Ich habe bei dem angesprochenen Essen so flammende Reden aus beiden Lagern gehört, dass ich total baff war und beides geglaubt habe. Beide haben total überzeugende Argumente für das Für und Wider. Ich bin für mich zu dem Entschluss gekommen, dass ich eine neutrale Haltung einnehmen muss. Ich hatte mich vorher sporadisch informiert und mir eine vorgefasste Meinung gebildet, die ich nicht preisgeben möchte.

Demnächst werden Sie in „Captain America 3“ zu sehen sein. Haben Sie schon mit dem Gedanken gespielt, nach Hollywood zu ziehen?

Nee, gar nicht. Es geht auch prima ohne. Das wird sich auch nicht ändern. Es gibt einen anderen Ort in Amerika, der mich durchaus reizen würde. Dort würde ich gern mal eine Weile verbringen und vielleicht passiert das ja auch. Ich habe festgestellt, dass in den letzten Jahren London immer mehr zum Dreh- und Angelpunkt der Branche wird, auch für die Amerikaner. Wenn ich zu Gesprächen, Castings oder auch zum Dreh musste, passierte das meistens aus London heraus. Das ist natürlich ein Traum, wenn man in Berlin wohnt, liegt es quasi um die Ecke. In Los Angeles zu sein und zu wohnen ist längst nicht mehr so hip. Dort wird ja auch gar nicht mehr so viel gedreht.

Die Fragen stellte André Wesche

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