Im Osten wurde ja extrem viel selbst genäht

Ein Interview mit Autorin und Regisseurin Aelrun Goette über ihren stark autobiografisch geprägten Film „In einem Land, das es nicht mehr gibt“.

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© Nadja Klier

© Tobis

Ein Gespräch mit Autorin und Regisseurin Aelrun Goette über ihren stark autobiografisch geprägten Film „In einem Land, das es nicht mehr gibt“, über die Modezeitung „Sibylle“,  ihren Alltag als Mannequin in der DDR, selbstgenähte T-Shirts, Plastiktüten voller Geld, den Mont Klamott und Mode aus dem „Exquisit“.

Frau Goette, wie oft ärgern Sie sich, wenn Ihnen jemand erklären will, wie es in der DDR wirklich war? Meine Antwort auf die Frage ist dieser Film. Über den Osten hat sich eine Schablone gelegt, durch die wir auf die Vergangenheit schauen. Durch diese Schablone sehen wir die Menschen meist nur als Täter, Opfer oder Zeitzeugen. Die Individuen scheinen dahinter verschwunden zu sein. Seit geraumer Zeit wächst jedoch das Interesse im Westen, auch die anderen Seiten kennenzulernen. Und die Menschen aus dem Osten haben eine Sehnsucht, mit ihrer Vergangenheit auch jenseits von Staatsterror vorzukommen. Ich glaube, es ist an der Zeit, den gemeinsamen Gesprächsfaden neu spinnen.

Ihr Film trägt starke autobiografische Züge. Hat sich der Anteil an Wahrheit in der langwierigen Drehbuchentwicklung eher verkleinert oder sogar vergrößert? Ich wollte von Anfang an einen Film für das Publikum machen und dabei wurde ich im Wesentlichen unterstützt. Die Geschichte wurde im Laufe der Drehbuchentwicklung immer dichter. Natürlich hätte ich gerne einen viel längeren Film gemacht, aber es ist nicht so, dass etwas der Schere zum Opfer gefallen ist, dem ich hinterher trauere. Ich habe einen Film im Sinn gehabt, der Gegensätze verbindet, Brücken baut und in den auch Eltern mit ihren Kindern hineingehen können.

Wie Ihre Filmheldin wurden auch Sie in Ihrem Alltag als „Mannequin“ entdeckt. Wie erinnern Sie sich an die ersten Kontakte zur DDR-Modeszene? Dorothea Melis, die ‚Anna Wintour des Ostens‘, wie man sie später genannt hat, sprach mich auf dem Alexanderplatz an: „Bist du aus dem Osten oder aus dem Westen?“. Ich antwortete schnippisch: „Was geht Sie das an?“, hab‘ mich umgedreht und bin weitergelaufen. Sie lief mir hinterher, drückte mir die Adresse des VHB Exquisit in die Hand und meinte: „Komm‘ doch mal vorbei.“. Kurze Zeit später sprach mich der Sibylle-Fotograf Hans Praefke an. Irgendwie habe ich dann gedacht: „Naja, vielleicht ist da ja was dran? Dann gehe ich halt mal dahin.“. Ich habe nicht davon geträumt, Model zu werden. Sowas gab es in meinem Universum bis dahin gar nicht. Genauso wie meine Hauptfigur, die eigentlich Schriftstellerin werden will. Die Mode ist für Suzie die Möglichkeit, in eine Welt mit ungeahnten Freiheiten einzutauchen, die sie vorher nicht kannte. So war das bei mir auch. Ich hatte das Glück, mit vielen wunderbaren Fotografen und Fotografinnen zusammenzuarbeiten, unter anderem mit Ute Mahler. Das war fantastisch, weil die meisten von ihnen zeitlose Bilder über die Welt gemacht haben, in der wir lebten, über Frauen, ihre Sehnsüchte und über die Gesellschaft. Als ich von Ute Mahler fotografiert wurde und mich dann selbst auf dem Foto in der Sibylle gesehen habe, dachte ich: „Mensch, diese Frau wäre ich gerne!“. Das war verrückt! (lacht) Die Fotos haben mir ein Bild von mir selbst vermittelt, in das ich dann ein Stück weit hineingewachsen bin.

Wie haben Sie Eingang in den kreativen Untergrund Ost-Berlins gefunden? So ähnlich, wie ich es im Film erzähle. Es mischte sich alles, die Szenen waren eng miteinander verbunden. Die einen haben für die off-Szene gemodelt und genauso für den VHB Exquisit. Eine Figur in meinem Film ist an Frank Schäfer angelehnt, der von Sabin Tambrea verkörpert wird. Frank ist bei der off-Modenschau CCD über den Steg gelaufen und hat uns Mannequins gleichzeitig für die Shows von ‚Exquisit` geschminkt. Alles mischte sich, jeder kannte jeden. Die Szene in Berlin war nicht groß und ziemlich überschaubar.

Sind Sie noch mit Weggefährten aus dieser Zeit in Kontakt? Ja, mit Ute Mahler und Frank Schäfer und mit einigen anderen, die auch bei den Dreharbeiten mitgearbeitet haben. Es hängen Fotos von Ute und Werner Mahler im Film, ebenso von Sibylle Bergemann und Roger Melis. Es war mir wichtig, dass diese Kunst, die in den 80ern unseren Alltag begleitet hat, ihren Raum im Film bekommt. Sie gehören zu dem Lebensgefühl von damals, in dem sich die Menschen wiederfinden können. Doch genauso wie die Geschichte konkret im Gestern spielt schlägt der Film die Brücke ins Heute, indem er die Frage stellt: Welchen Preis sind wir bereit zu zahlen für das Leben, das wir leben wollen?

Sie sagen, Sie und Ihre Freunde hätten „an der Ostsee selbstgenähte T-Shirts verkauft und Plastiktüten voller Geld verdient“. Bitte erzählen Sie mehr. Wir haben aus Bettlaken und Windeln T-Shirts, Jacken und Kleider genäht und sie an der Mole in Warnemünde verkauft, wo sie uns buchstäblich aus den Händen gerissen wurden. Das war einmal so viel Geld, das haben wir dann in Plastiktüten gesteckt. Es wurde im Osten ja extrem viel selbst genäht. Auf einem Porträt-Foto, das Ute Mahler von mir gemacht hat, habe ich eine Lederjacke an, die ich aus einem Schnitt genäht habe, den damals jeder verwendet hat. Viele haben sich damit ordentlich ihren Verdienst aufgebessert. Auf der anderen Seite konnten wir mit dem Geld ja nicht so richtig was anfangen. Deshalb haben wir es zuweilen in teuren Restaurants auf den Kopf gehauen. Es war eine wilde Zeit.

Konnte die DDR-Frau die Kollektionen aus der „Sibylle“ erwerben oder gingen sie in den Export? In der Regel konnte man alles kaufen, was in der Sibylle fotografiert wurde und was der VHB Exquisit hergestellt hat, ging auch in die Geschäfte des Ostens. Die Stoffe kamen teils aus Schweden, die Accessoires aus dem westlichen Ausland. In der Sibylle gab es immer einen Schnittmusterbogen. Diese Schnitte waren damals sehr populär und wurden von vielen nachgenäht.

Sie verzichten auf Songs von Karat, City oder den Puhdys, die die Jugend angeblich gehört hat, will man anderen Filmen Glauben schenken. Nur die Ausnahmenband Silly bekommt eine Chance. Ich habe zu DDR-Zeiten schon aus Prinzip keine Ost-Musik gehört. Außer die Punks. Feeling B, die Vorläufer von Rammstein und diese ganzen Truppen. Das haben wir gehört und dazu Pogo getanzt. Auch auf den Exquisit Modenschauen sind wir nicht nach DDR-Musik gelaufen. Mit den Songs im Film bin ich erwachsen geworden. Sillys „Mont Klamott“ ist ein zeitloses Stück, ein wunderbarer Song, den ich erst nach dem Fall der Mauer für mich entdeckt habe. Ich hatte das Gefühl, dass so ein Zitat drin sein muss.

Im Film heißt es: „Wenn Du frei bist, dann überall – da nützt Dir auch der Westen nichts“. Ist Freiheit eine innere Einstellung? Innere Freiheit ist ein Wert, den man sich im Laufe seines Lebens immer wieder neu erobern muss, weil man sie auf seinem Weg manchmal verliert. Sie kann ganz unterschiedliche Gesichter haben, auch abhängig davon, in welchem Alter und in welcher Lebenssituation wir uns befinden. Für mich ist Freiheit wie ein Leitstern. Ich bemühe mich als Frau und als kreativer Geist immer wieder darum.

Fühlen Sie sich im Deutschland von 2022 frei? Es ist ein interessantes Paradox: Ich habe das Gefühl, dass ich mich immer mehr hin zur Freiheit bewege, unabhängiger und gelassener werde. Auf der anderen Seite stecke auch ich in Korsetts und der gesellschaftliche Druck scheint immer größer zu werden. Heute kämpfen die jungen genauso wie die älteren Menschen mit Ängsten, die sie teilweise in furchtbare Zwänge versetzen. Die kommen dann nicht durch eine Diktatur, sondern durch den Neo-Liberalismus, der unsere Zeit fest im Griff hat. Fühle ich mich frei? Es gibt Momente, in denen ich das Gefühl einer großen Freiheit habe. Aber diese Momente gab es im Osten auch. Trotzdem – und daran lässt der Film keinen Zweifel und ich sage das gerne nochmal – ich wünsche mir den Osten nicht zurück. Wenn die Mauer nicht gefallen wäre, wäre ich sicherlich in den Westen gegangen, weil ich in dieser Form der Unfreiheit nicht mein Leben für immer verbringen wollte.

Sehen Sie Mode als Kunstform? Mode ist eine künstlerische Ausdrucksform, die auch eine Kunstform sein kann. Mode kann Widerstand sein, Poesie, Selbstverwirklichung oder der Versuch, sich abzugrenzen. Mode kann viel mehr sein als das, was wir heute im Alltag auf den Straßen sehen. Wenn wir uns vor Augen halten, was in den 80er Jahren an Kreativität rumschwirrte, wünschte ich mir heute viel mehr davon. Und weniger Uniformität.

Wodurch wurde Ihr seltener Vorname inspiriert? Diesen Namen gibt es eigentlich nicht. (lacht) Meine Mutter hat sich den ausgedacht. Es gibt ihn mit E wie Elrun oder mit A wie Alrun. Aelrun ist ein Ausdruck meiner Mutter, sich von dem DDR-System abzugrenzen, anders zu sein und einen Unterschied zu machen. Naja, und da hat sie mich eben Aelrun genannt. Wie sie das hinbekommen hat, weiß ich nicht. Als ich klein war, war das ganz schrecklich, denn welches Kind will schon, dass es bereits durch den Namen zur Außenseiterin gemacht wird. Ich wollte immer Susanne heißen, deswegen heißt meine Hauptfigur auch Suzie. Jetzt, wo ich älter bin, lebe ich mit Aelrun ganz gut. (lacht) 

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