Jim Rakete: „Wir haben nicht mehr die Zeit für Debatten“

In der Doku „Now“ begibt sich Jim Rakete auf Spuren junger Umwelt­aktivisten, die sich bei Organisationen wie „Fridays for Future“, „Extinction Rebellion“ oder „Ende Gelände“ für den Schutz des Weltklimas engagieren. Der Starttermin wurde nochmals verschoben.

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© W-film

­Herr Rakete, wie kam es zu diesem Ausflug in die Welt der bewegten Bilder? Es ist nicht mein erster, allerdings mein erster Kinoausflug. Ich habe schon viele Videoclips gemacht. In diesem Fall hat mich Autorin Claudia Rinke kontaktet, um einige junge Klimaaktivisten auf ihrem Weg zum Klimagipfel zu porträtieren. Ich fand die Idee gut, aber ich wusste nicht, wie man solch ein Projekt anfängt und finanziert.

Sie hatte vielleicht das Gefühl, mit mir den richtigen Partner zu haben, weil ich die Welt der 68-er aktiv erlebt habe. Tatsächlich habe ich deswegen die Schule geschmissen und bin Fotograf geworden. Ich bin dabeigeblieben und wir haben Produzenten gefunden. Auf meinem Mist ist gewachsen, dass wir diese Überwältigungsbilder, mit denen Klimafilme oft vollgestopft sind – Eisbär auf Eisscholle, rauchende Schlote – zugunsten guter Argumente und Interviews vermieden haben.

Der Enthusiasmus der jungen Protagonisten überträgt sich unweigerlich auf den Zuschauer. Sehen Sie in ihnen Popstars unserer Zeit? Darüber habe ich noch nicht nachgedacht. Aber ja, das stimmt. Ich glaube, in der Form hat es das noch nicht gegeben, dass jemand mit einer Message so weit gekommen ist und kein Produkt hinter sich hat.

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Man sieht Greta Thunberg immer wieder an, wie sehr sie die Öffentlichkeit stresst. Was für ein Bild haben Sie sich vom Menschen Greta geschaffen? Mein Cutter und ich haben früh beschlossen, kein Interview mit ihr zu machen. Wir haben uns nicht darum bemüht, weil sie das, was sie sagt, immer zum Zeitpunkt sagt, an dem sie es sagen will. Die Art, wie sie auf der Bühne agiert, finde ich sehr viel besser als jedes Interview mit ihr. Sie ist immer dann am besten, wenn sie auf der Bühne steht und den Menschen reinen Wein einschenkt. Darüber hinaus ist sie authentisch. Eigentlich ein schreckliches Wort, das derzeit jeder im Munde führt. Aber in ihrem Fall ist die Angst vor dem, was kommen wird, ganz deutlich spürbar. Ich finde, sie hat prophetische Qualitäten. Ein Prophet muss das, worüber er redet, auch auf der gefühlsmäßigen Ebene vermitteln können. Sie kann das.

Waren Sie überrascht, dass für viele Umweltprobleme schon Lösungen existieren? Eigentlich nicht. Im Green Engineering gibt es eine ganze Reihe von Maßnahmen, die man ergreifen könnte. So ist die industrielle Landwirtschaft ein Riesenproblem und ein viel größeres Feld als etwa der Flugverkehr. Und Sie werden beobachten, dass der blinde Fleck der gesamten Bewegung das Internet ist. Es ist einer der größten Faktoren, mit seinen ganzen Servern, die direkt an Flüsse gebaut werden, die so erwärmt werden. Es ist immens, wenn man sich anschaut, was das Internet für eine Energieaufnahme hat. Die CO2-Emissionen sind deutlich größer als die des Flugverkehrs. Ich bezweifle aber, dass man mit solchen Vergleichen weiterkommt, genau so wenig, wie man mit Flightshaming oder dem Verdammen aller Autos weiterkommt. Das ist alles Quatsch. Man muss die Leute dazu kriegen, dass sie verantwortungsbewusster handeln.

Wo sehen Sie unsere Welt in dreißig Jahren? Oh, mein Gott! Fangen wir mal mit der Hoffnung an. Es könnte ja so ausgehen, dass sich jeder mal selbst anfängt, sein Verhalten zu ändern. Das geht aber nur im Bereich des Möglichen. Wenn man in den Städten keine Nahrungsmittel findet, die nicht plastikverpackt und im Kühltransport um die Welt gereist sind, steht man vor einem Problem. In Deutschland, das sagt Nike Mahlhaus von „Ende Gelände“ im Film, kann man das 2 t-Emissionsziel als Individuum schon am Tag seiner Geburt nicht mehr erreichen, weil wir so viel Kohle verbrauchen. Das ist erschreckend. Unsere Energiewende ist nur ein zarter Anfang. Es muss viel weiter und viel schneller gehen.

Sie waren für den Film auch in Amerika. Wurde bei den Reisen auf CO2-Neutralität geachtet? Unser Team sollte so klein wie möglich sein, damit es vertretbar ist. Wir sind zu viert geflogen. Die Idee war, einen kleinen Film zu machen. So einen kleinen Klimafilm gibt‘s wahrscheinlich nicht nochmal. Deshalb waren wir auch völlig unabhängig.  

Ist der visuelle Rakete-Style dem Film anzusehen? Dieses „Aus-der-Hüfte-in-die-Sterne“, was meine Arbeit umgibt? (lacht) Das ist ein bisschen drin, ja. Aber es kein Film über Kamerasprache oder Bild-Stil. Es ist zupackende Interview­arbeit und Dokumentation. Zuallererst ist es „leg work“. Man ist gezwungen, der Sache nachzulaufen, weil sie sich ja bewegt. Manchmal ist man mit der Kamera schon da, wo die ganze Sache erst hinläuft. Man kommt abends nach Hause und denkt: „Jetzt hab‘ ich ein bisschen davon in die Kiste gekriegt.“. Das ist eine Ernte. In New York hatte ich eine Liste mit Interview­partnern, aber zum größten Teil nicht mal eine Telefonnummer. Wir haben dort bei der UN ‘rumgestochert und die Leute einfach angesprochen: „So, jetzt sag doch mal …“. Die eigentliche Aufgabe des Films ist, das Rennen zwischen zwei Faktoren zu zeigen: Ökonomie und Ökologie. Ohne Verzicht wird‘s nicht gehen. Dieses Wort ist das Anti-Wort unserer Generation. Niemand will auf irgendwas verzichten. Es ist wirklich wie im Rom der letzten Tage. Heiko Maas sagt im Film einen Satz, der sehr einfach klingt: „Es ist nicht mehr die Zeit für Debatten, es ist die Zeit für Entscheidungen.“

Doku "Now", neuer Starttermin: 11. März 2021

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