Jürgen Vogel: "Man sollte nicht im Namen des Glaubens töten."

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© Port au Prince Pictures

Herr Vogel, Sie haben sehr schnell für dieses Projekt zugesagt. Sicher war es reizvoll. Aber war es nicht auch ein wenig beängstigend, weil es schnell unfreiwillig komisch hätte werden können?  (lacht) Bei allen Projekten, die das Potential haben, cool und klasse zu werden, besteht immer auch die Möglichkeit des Scheiterns. Wenn man sich extrem aus dem Fenster lehnt, kann man etwas ganz Tolles entdecken – oder mächtig aufs Maul fallen. Ich finde, eine solche Herausforderung sollte man immer annehmen und sich trauen. Aber Sie haben Recht: Theoretisch hätte es völlig in die Hose gehen können.  

Über die Lebensumstände von Ötzis Zeitgenossen ist wenig bekannt. Wie konnten Sie sich ein Bild von dieser Welt schaffen? Es gibt schon ein paar Sachen, die man gesammelt hat. Man weiß, dass Ötzi ein guter Jäger war. Man weiß, mit welchen Utensilien er gearbeitet hat und wie seine Klamotten ausgesehen haben. Er hatte sogar Nähzeug dabei, um sie flicken zu können. Ötzi gehörte einer Jägerkultur an, die auch Fallen gebaut hat. Außerdem hatte der Mann fast 70 Tätowierungen. Wir reden hier von einer Zeit vor 5.300 Jahren. Er hatte die Tätowierungen sicher nicht nur, um schön auszusehen. Man vermutet, dass dabei bestimmte Riten eine Rolle gespielt haben. Das ist interessant und hat uns die Möglichkeit gegeben, auch in dieser Richtung zu erzählen. Bestimmte Parameter waren also klar. Und wir haben uns darauf aufbauend eine Geschichte ausgedacht, wie es hätte gewesen sein können.

Es gibt kritische Stimmen, die z.B. das Heiligtum des Filmes für viel zu fein gearbeitet halten. Warum darf Tarantino in „Inglourious Basterds“ Hitler und Konsorten töten und alle finden es gut, während man bei deutschen Produktionen jede Kleinigkeit auf die Goldwaage legt? Unwissenheit führt oft zu Dummheit. (lacht) Nee, im Ernst. Wahrscheinlich waren diese Kritiker nicht im Museum von Bozen. Wenn man dort Ötzis messerscharfe steinerne Pfeilspitzen sieht, dann sind die viel filigraner als unser Kasten. Auch die Nähte der Kleidung sind sehr beeindruckend. Das waren nicht irgendwelche Höhlenmenschen. Aber natürlich darf man jeden Film kritisieren. Jeder spielt mit den Mitteln, die er hat, zu dem Zeitpunkt, an dem er etwas tut. Und man versucht, das Beste daraus zu machen. Gerade was Requisiten, Kostüm und Maske betrifft, stehe ich sowas von dahinter. Es war grandios, auch während der Arbeit Materialien benutzen zu dürfen, die alle funktionieren. Klamotten, die warm halten. Ich war ja auch abhängig von diesen Sachen. Und sie waren sehr beeindruckend.         

Das Prinzip Rache ist nach wie vor fest im Kleinhirn des Menschen verankert. Manche Staaten praktizieren es in Form der Todesstrafe. Welchen Standpunkt haben Sie zu diesem Thema? Ich bin überhaupt nicht für die Todesstrafe. Aber Rache ist in unserem Film natürlich ein großes Motiv. Als Emotion finde ich sie nachvollziehbar. Aber vom gesellschaftlichen Standpunkt aus bin ich dagegen. Eine Gesellschaft darf nicht so handeln. Sie hat ja auch eine Vorbildfunktion. Wir ziehen unsere Kinder damit groß, dass es Unrecht ist, Menschen zu töten. Dann darf sich ein Staat die Freiheit erst recht nicht herausnehmen. Das ist ein Absurdum. Es funktioniert in Amerika ja auch nicht so gut. Da bin ich froh, dass wir hierzulande leben.      

Aber als Familienvater denkt man durchaus darüber nach, wie man reagieren würde, wenn jemand Frau und Kindern etwas zuleide täte. Solche Gedanken sind absolut nachvollziehbar. Wir wollen die Zuschauer mit dem Film genau auf diese Reise mitnehmen. Man soll jede Emotion verstehen. Aber wir haben ja eben über eine Gesellschaft geredet. Und eine Gesellschaft muss einfach besser sein als das Individuum. Er muss ein Vorbild sein und eine Lösung für die Probleme dieser Welt finden. Nicht die schnelle, kurze Lösung, die eigentlich keine ist. Niemand kommt dadurch zurück. Im Film sieht man genau, was es mit einem macht, wenn man sich in eine Spirale des Hasses begibt.   

Ist eine Botschaft des Filmes, dass der Glaube die Menschen ins Verderben führen kann? Das würde ich so nicht sagen. Man sollte nicht im Namen des Glaubens töten. Der Glaube an sich ist nicht daran schuld. Das Töten kann nie zum Ziel führen. Der Glaube bietet einer Gesellschaft die Möglichkeit des Zusammenhaltens. Vor allem in den ärmsten und krisengeschüttelten Regionen dieser Welt ist der Glaube ein sicherer Halt für viele Menschen.      

Haben Sie eine spirituelle Seite? Ich glaube, dass jeder Mensch irgendwo die Hoffnung auf Erlösung in sich trägt. Dass es etwas gibt, das über dem steht, was man mit den Händen greifen kann. Es existiert eine große Sehnsucht danach. Ich bin kein Kirchengänger, aber ich glaube schon, dass es eine positive Kraft gibt.  

Gibt es Momente, in denen man die Kameras ausblenden kann und denkt: So war es also! Es muss Momente geben, in denen du das ganze Drumherum vergisst und versuchst, etwas herzustellen, was damals hätte passieren können. Dabei hilft es, wenn du auch tatsächlich frierst, wenn du wirklich wandern musst, wenn du angestrengt und fertig bist. Wir haben nicht in einer Garage vorm Greenscreen gestanden sondern wirklich auf den Bergen, 2.700 m hoch. Das sind tolle Erfahrungen.      

Die Gewaltdarstellung im Film ist dem Thema entsprechend sehr roh. Verharmlost nicht gerade das „saubere“ und schnelle Töten im aktuellen Kino die Gewalt? Ich finde es besser, wenn ein Prozess der Grausamkeit fühlbar wird, wenn man ihn schon darstellt. Es ist eine Geschmackssache und es existieren verschiedene Varianten. Es gibt dieses comicartige Sterben im Film. Wenn man sich vom Realismus entfernt, wird es plakativ. Vielleicht kann man dann die FSK besser bescheißen, ich weiß nicht. Ich finde, dass die Gewalt, die wir zeigen, der Brutalität dieser Zeit und der Natur angepasst ist. Dem Wesen des Menschen eben.   

Wie tickt Ihr Film-Kollege Franco Nero denn so? Er ist ein sehr sympathischer, warmherziger Mensch. Ein sehr guter Schauspieler. Es ist ein Gewinn, dass er diese Rolle übernommen hat. Sie ist zwar nicht groß, aber dramaturgisch sehr wichtig.   

Macht man auch mal Quatsch, wenn man sich im Kostüm gegenüber steht? Ja klar, wir haben so viel Spaß gehabt und Unsinn getrieben. Wir haben eigene Filmchen gedreht, erfundene Quatschgeschichten. Humor ist immer das Wichtigste.

Wenn Sie Ötzi eine Frage stellen könnten, welche wäre das? Ich möchte natürlich wissen, wer ihn erschossen hat.

Filmstart: 30. November 2017

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