25. Jugendvideopreis: Ein singendes und ein lachendes Auge

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© Gillert

Zweifelsfrei gab es am 24. November 2019 nur eine Handvoll Menschen, die den 25. Jugendvideopreis in voller Länge genossen haben – der Autor des vorliegenden Textes inklusive. Die Kleinen mögen noch zu wenig Sitzfleisch haben, um sich sechs Stunden anzutun. Aber gerade die Wannabe-Profis der Newcomer und die oft verkopften Masterclassenbesten, könnten sich mal die ein oder andere Inspiration von den jungen Teams abholen.

ABC-Teams: Der deutsche Genrefilm in den Windeln

Dort gab es mit Die KI Cimone Cimone eine überaus charmante handgebastelte Science Fiction. Die titelgebende Software wird auf die ISS geschmuggelt und entwickelt dort Selbstwahrnehmung. Liebevolle Soundkulissen, handgemachte Effekte und Ideen, die an große Vorlagen wie Odysee im Weltraum (1968) oder Moon (2009) erinnern. Ein Lob an die Gruppe Weltraumdetektive Planetarium Merseburg.

Handwerklich bescheiden, aber vom Storyansatz her bestes Unterhaltungskino, ist der Film Robin Hood am roten Turm, gedreht vom... Moment... ja, hier: Team „Filmzeit“ und Teilnehmer*innen des Ferienprojektes der Gemeinde Muldestausee mit der Kreisvolkshochschule Anhalt-Bitterfeld schon der Name ist pure Magie. Robin Hood rettet Maryan aus 'nem Turm. Zwei Leute kriegen einen Pfeil in' Kopp. Zack. Actionfilm. Und an der modernen Bekleidung der jungen Heldinnen stört sich, seit dem wesentlich schlechteren Robin Hood (2018) mit Taron Egerton, ja nun auch niemand mehr.

Ein starkes wie charmantes Dokumentarstück ist der Film Wir. Im Fokus stehen sechs  Schüler*innen der Magdeburger Förderschule Schule am Wasserfall. Traumsequenzen unterstreichen die sehr warmen und herzlichen Interviewparts. Susanne Frömmer, medienpädagogische Leitung des Projekts, fand beim diesjährigen Jugend-Video-Preis mehrfach den Weg auf die Bühne und leitet auch das Serienprojekt Moritzplatz, beim Offenen Kanal Magdeburg.

Gewonnen haben aber zwei andere Filme. Anna, produziert von der Projektgruppe „Film und Schauspiel“ der Sekundarschule Fritz Heicke Gommern, wurde von der Kinderjury zum besten Film der ABC-Teams gewählt. Begründung: „Man konnte richtig mitfühlen, die Schauspieler waren echt gut und die vielen Kameraeinstellungen machten den Film krass gut.“ Okay, chill' mal Deine Base, Kinderjury! Ein Detektiv untersucht den Fall einer Hexenverbrennung. Gegenwart und Vergangenheit gehen Hand in Hand. Aber wer nichts zu sagen hat, ersäuft den Film in Musik. So auch dieser hier. Ambitioniert, aber es ist wie verhext. Wer sich zu ernst nimmt, scheitert im No-Budget-Bereich zu oft an der Selbstwahrnehmung. Krass schade.

Die reguläre Jury hingegen zeichnete den Film Ich vlog dann mal weg! aus. Das Thema: Zwei Videobloggerinnen – eine nice, eine scheiße – zicken sich an. Das ist hübsch aufgemacht, reduziert den Social-Media-Star-Topos aber allzu platt auf Gut-Böse-Mechanismen. Aber ist ja voll trendy und jugendlich und sowieso, Zeitgeist, bla bla – das muss gewinnen. Schön gemacht von der Foto und Film AG Schloss Ballenstedt, aber der Schuh der Sozialkritik muss am Ende auch passen und hier wirkte er etwas eng geschnürt.

Newcomer: Tränen, Trennungen, Transplantate

Alle sind Gewinner, alle sind gut – toll toll toll. Kann sich die Jury mal wieder nicht auf einen Gewinner einigen, wird der Hauptpreis gesplittet. Das Siegertreppchenprinzip beim JVP ist sowieso überholt und verlangt nach einer ausdifferenzierten Kategorisierung. So hingegen wird die Jury – die Schreibung als Eigenname ist angebracht, ob der Tatsache, dass sich die Zusammensetzung ja nie ändert – Jahr für Jahr gezwungen, Filme miteinander zu vergleichen, die sich über das subjektive „...Du hast da einen ganz ganz tollen Beitrag eingereicht...“ kaum miteinander vergleichen lassen.

Platz 1 der Newcomer belegt Ramas Videobrief nach Hause, buchstäblich ein verfilmter Brief an die Schwester der Regisseurin Rama Dmeirieh, entstanden im Rahmen des OKMD-Projekts Videobriefe nach Hause. Was ist Heimat? Eine wichtige Frage, die die syrische Geflüchtete gefühlvoll beantwortet, untermalt mit handgezeichneten Bildern. Das kann Kurzfilm.

Irgendwas hat die Jury, um Tom Hartig, Florian Ziegler und Kristin Kölling dazu geritten, den Preis zu splitten. Platz 2 der Newcomer belegte das Musikvideo Marionetten von Santo A. Boese alias Harlekeen. Zitat Videobeschreibung: „Dieses Musikvideo hinterfragt die Fähigkeit des Menschen, zu erkennen, dass er die Kontrolle über sein Leben schon lange verloren hat. Bestimmen wir unser Handeln noch selbst oder sind wir längst zu Marionetten geworden?“ Und um das zu unterstreichen, spielen Marionetten die Hauptrolle. Sie machen Dinge. Das Video folgt keiner roten Linie und ist meinethalber hübsch inszeniert, darüber hinaus aber so dünn, wie Fäden. Verstehst Du? Wegen Marionetten. Apropos: Der Film erhielt auch den Publikumspreis. Logo.

Und können wir bitte mal über das Wort Newcomer reden? Dass da nicht nur Erstlingswerke laufen ist bekannt, aber der Film Sunset von Anas Salaheldin sieht filmtechnisch dermaßen geleckt aus, dass man ihn doch wenigstens hätte backchecken können. Der junge Herr hat sein Studium am High Cinema Institue in Kairo, für ein Bundesfreiwilligenjahr, unterbrochen und sichtlich Erfahrung an der Kamera. Wäre es da nicht fair gewesen, den Film in die Masterclass-Anmeldungen zu schieben?

Interessante Genre-Idee war Innere Werte von Paul Brodmann. Ein Mann wacht in einer Badewanne auf. Mit einer Narbe an der Wampe. Klaro: Organklau! Das ist schlecht gespielt, aber nett gedacht. Dass Bordmann auf der Bühne dann tatsächlich über „innere Werte in unserer Gesellschaft“ redet – puh, wer mehr Bock auf die Dankesrede hat, als auf die Arbeit vorher, sollte das Feld wechseln. Danke. Nächster bitte.

Masterclass: Drama, Baby!

Vorab: Jurymitglied Peter Bendix hat ja jedes Jahr einen Appell, den er bei der Preisverleihung loszuwerden hat. Dieses Jahr, waren ihm die Filme zu wenig politisch. Vor zwei oder drei Jahren waren sie ihm nicht mutig genug. Vermutlich sind sie ihm nächstes Jahr zu … weiß nicht, zu laut, zu leise oder was auch immer. Dass die Filme mit Medienkritik, Sterbehilfe und Demenz aktuelle und relevante Themen anspricht, wurde in dem Kommentar zwar vergessen, aber vielleicht finden wir ja nächstes Jahr Filme, die den Damen und Herren gefallen. Nicht falsch verstehen: einige Beiträge hatten Löcher, groß wie Welpen, in der Dramaturgie. Aber Film ist nicht gleich Politik. Und ein Filmwettbewerb ist keine Werbefläche für politische Interessen – oder sollte es zumindest nicht sein.

Auch in der Masterclass wurde der Preis gesplittet. Sieger in der vermeintlichen Königsklasse ist schreibt... von Hans Höpfner. Dreh- und Angelpunkt ist ein WhatsApp-Gruppenchat, dargestellt als Gruppentreffen in einem Klassenraum. Anlass ist ein Geschenk für den Lehrer. Auslöser des Streits, ist ein geteiltes Foto, infolge dessen sich ein zünftiges Eifersuchtsdrama hochschaukelt. Das erinnert natürlich an die Methode des Spielfilm Who am I, in dem Chatverläufe zwar in einer U-Bahn, aber ähnlich dargestellt wurden. Aber: Das ist spannend, das macht Spaß und ist passabel gespielt. Jury-Mitglied Marco Gadge erklärt im Pressetext: „Hans Höpfner ist zweifellos ein großes Talent, von dem wir in den kommenden Jahren sicherlich noch viel erwarten dürfen.“ Hui, na dann – vielleicht sogar etwas politisches? Zwinker zwinker.

Platz 2 in der Masterclass ging an Theater liebt Dich, von Alina Rehhan. Das Musikvideo rappt sich einmal quer durch das Thalia Theater Halle und sprüht vor visuellen Einfällen, die in Ein Kessel Buntes oder Sketchup richtig platziert gewesen wären und noch immer Spaß machen. Aber wäre dieses Video widerum nicht bei den Newcomern besser aufgehoben gewesen? Denn wenn es nur um Kurzweiligkeit und schöne Bilder geht, wäre das technolastige Musikvideo Weltflucht von Ole Freier die bessere Wahl gewesen und auf Storyebene sicherlich Overturned von Alexandro Huber.

Am Ende war auch dieser Jugendvideopreis ein Potpourri wunderbarer Ideen, schöner Bilder und interessanter Erzählansätze. Aber nach 25. Ausgaben, muss sich auch ein Jugend-Video-Preis weiterentwickeln, um wahrgenommen und besucht zu werden. Frisches Blut, neue Kategorien, Live-Übertragung, mehr Platz für Gespräche und vielleicht... ein neues Name? Wer weiß. Aber bis dahin freuen wir uns auf den 26. Jugendvideopreis.

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