Grab:Geflüster

Nachgeschaut #76, November 2021 – Moritzplatz begeistert; Eternals enttäuscht; Ghostbuster fetzt; Halloween Kills und schlagzeilenartige Teasertexte überraschen! Heartly Welcome to Nachgeschaut!

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Hygienekonzept für diese Kolumne: Gebrauchtes Kunstblut nicht wieder benutzen.

Na, wie war Halloween? Erst mit dem Nachbarn Kürbisrisotto gefressen und anschließend dem maskierten Halbwuchs mit Auswurf in die Laterne gebrüllt? Fies. Stattdessen hätte man ja auch was Sinnvolles machen können, „ Halloween Kills“ gucken zum Beispiel – oder „Moritzplatz“. Ich hab zwischen dem Redaktionsschluss zur Printausgabe und dieser Online-Version zwei neue Filme gesichtet und blubbere zusätzlich über Eternals und Ghostbusters 3.

Halloween Kills: Die blutigste Nacht des Jahres

Das Ende von Halloween (2018): K urz nachdem Laurie Strode (Jamie Lee Curtis) Michael Myers in ihrem Haus eingeschlossen und die Bude in Brand gesetzt hat, r ückt die Feuerwehr an. Halloween Kills macht genau dort weiter . W ährend Laurie im Krankenhaus die perforierte Bauchdecke zugetackert wird und ihre Tochter Panik schiebt, schließt sich ihre Enkelin einer Bürgerwehr an – um Michael zu töten, d enn: Michael Myers lebt! Er hat die komplette Horde Feuerwehrmänner zerlegt und meuchelt sich weiter durch die Kleinstadt Haddonfield. Kopf der Bürgerwehr ist Tommy Doyle (Anthony Michael Hall), ein Überlebender des Original-Massakers von 1978.

Die direkte Fortsetzung zu „Halloween“ (2018) fällt doppelt so saftig aus, verdrahtet sich in puncto Story noch enger mit dem ersten Film – Gott, wie schön diese Flashbacks ins Jahr 1978 geworden sind! – und schafft es, sich vom ehemaligen Final Girl Laurie Strode (Jamie Lee Curtis) zu emanzipieren. Masken-Michi liefert ordentlich Futter für Gorehounds, untermalt von treibenden Synth-Klängen by John Carpenter himself (+ Sohn) und eingebettet in einer plüschigen Kuscheldecke aus Logiklöchern, sinnloser Gewalt und menschlichem Fehlverhalten.

Wir alle kennen diese Nächte am Hassel.

Eternals: Wenn Du Sci-Fi-Epen auf Wish bestellst

In einer anderen Filmkritik zu „Eternals“ hat sich meine Einleitung um 300 Prozent verlängert, bei dem Versuch nur mal die Prämisse des neuen Marvel-Films zu umreißen. Deswegen kurz: Seit 7000 Jahren leben die unsterblichen, absurd starken und mit individuellen Fähigkeiten gesegneten Eternals auf der Erde und beschützen die Menschheit vor den ebenfalls außerirdischen, potthässlichen und aggressiven Deviants. Irgendwann in der Vergangenheit gabs von den Viechern keine mehr und die Eternals trennten sich. In der Gegenwart tauchen wieder welche auf, die Erde droht zu explodieren und deshalb sammeln sich auch die Eternals wieder.

Nun, was soll man sagen? Der Film geht etwas über zweieinhalb Stunden, sieht bezaubernd aus, befriedigt den Kinogänger aber, wie ‘ne Bratwurst den Verdurstenden. Zehn Figuren werden erklärt, dazu die eigene Mythologie und am Rande geht es um den Untergang der Welt – also wie üblich um gar nichts. Warum zum fickenden Elch, hat Produzent Kevin Feige nicht die 2006er-Comic-Story von Neil Gaiman als Vorlage in Auftrag gegeben? Dort leben die Titelheld:innen mit Gedächtnisverlust unter den Menschen und werden nach und nach reaktiviert. Aber so? Schwierig. Natürlich gibt es die schönen Bilder und die herzlichen Marvel-Dialoge, aber in Summe ist das eben zu wenig für einen Film dieser Größenordnung.

Ghostbusters: Legacy: Retrokult trifft Generation Y

Die alleinerziehende Callie (Carrie Coon) erbt ein Landhaus, irgendwo im Nirgendwo einer amerikanischen Kleinstadt. Ihre überdurchschnittliche intelligente zwölfjährige Tochter Phoebe (Mckenna Grace) ist eine Forscherin durch und durch, hat es dafür nicht so mit Menschen. Ihr großer Bruder Trevor (Finn Wolfhard) hat es dafür mit Mädchen, nur mit nichts anderem. Zusammen mit ihrem neuen Klassenkameraden ‘Podcast‘ (Logan Kim) und ihrem Klassenlehrer Mr. Groober (Paul Rudd), kommt Phoebe dem gruseligen Geheimnis der Stadt auf die Spur: Ihr Großvater war niemand anderes als ein Geisterjäger und bald ist es an ihr, seine Erbe anzutreten.

Hach, schön! Punkt. Guckt bitte den Film. Aus.

Warum?

Weil der Film uns Fans der Original-“Ghostbusters“-Filme mit ganz viel Nostalgie catcht.

Weil Hauptdarstellerin Mckenna Graces Phoebe eine wunderbare Figur ist und einem Schmunzeln und Tränen in die Augen treibt.

Weil sich Regisseur Jason Reitman vor den Filmen seines Vaters Ivan Reitman verbeugt, dabei aber eine eigene Note einbringt.

Weil die Musik toll ist.

Weil das Drehbuch von Gil Kenan Dialoge auf den Punkt fabriziert.

Deswegen, man!

Moritzplatz: Kiezgeflüster mit Dramady

Vier junge Menschen und ihre Geschichten in Neustadt.

Die junge Transfrau Jess (Caya Krakor) eckt mit Kodderschnauze und Attitüde gerne an, jobbt in einem Fotoladen, singt in der Garagenband Patchwork Piss und will strenggenommen nur akzeptiert werden.

Der syrische Paketbote Adam (Ali Zoalfekar Abtini) sucht Anschluss, muss seine jüngere Schwester Leyla (Felek Morad) versorgen und will dabei die Werte des Islam nicht aus den Augen verlieren. Leyla auf der anderen Seite, ist freiheitsliebend und sieht es gar nicht ein, sich von ihrem Bruder irgendetwas erzählen zu lassen.

Die siebzehnjährige Emilia (Katharina Semrau), aus konservativ-kartoffeldeutschem Elternhaus, findet in Leyla eine neue Freundin. Das wachsende Interesse für den Islam macht emilias Eltern nervös und führt bald zu Konflikten an jeder Front.

Ja ja, in der Printausgabe gibts schon einen Artikel über die Serie . Aber hier, in meiner kleinen Nachgeschaut- Bubble , darf ich machen , w as ich will!

Das Projekt als solches – unter dem Dach des Offenen Kanals gereift und geleitet von Susann Frömmer und Patrick Jannack – ist vor allem ein medienpädagogisches. Die Stories wurden zusammen mit de m jungen Gemüse erarbeitet und von Jasper Ihlenfeldt als Drehbuch adaptiert . Ihlenfeldt tritt diesbezüglich das erste Mal als Screenwriter in Erscheinung. Und ich muss mal kollegial auf die Schulter klopfen und fragen: Warum erst jetzt ? Hätte er doch auch schon früher mal was sagen können! Das Gespür für Charaktere scheint er zu haben. Denn zwischen all den ernstgemeinten Protagonist:innen, finden sich Loriot-esk überzeichnete Gestalten; u.a. ein zum Haare raufen dröger Kollege im Fotoladen oder Jess’ Bandkollegen Ratte und Carlos, einer Amalgamation aus Bill & Ted und Beavis & Butthead.

Die Herangehensweise, mit Menschen zu erzählen und nicht nur über sie, zahlt sich aus . Milieu- und Kiezgeschichten, insbesondere jene, die das Thema Migration streifen wollen/müssen/dürfen, kämpfen hart um Authentizität. Das Autorenteam von „4Blocks“ hat drei Jahre recherchiert, bevor sie die Serie geschrieben haben. Nun geht es in „Moritzplatz“ zwar nicht um randalierende Großclans, aber es würde auch niemanden verwundern, wenn plötzlich Frederik Lau vorbeischauen und mit krächzender Stimme und Hundeblick in ein paar Falafeln monologisier en würde . Genug soziale Konflikte zu beweinen, hätte er jedenfalls auch in „Moritzplatz“.

In puncto Look hat das Team seine Hausaufgaben gemacht; Frömmer in der Regie und Jannack an der Kamera. Schnittbilder zeigen Menschen in Magdeburg-Neustadt, Ampeln, Müllabfuhr, Fahrradfahrer, Kamerafahrten am Späti vorbei. D ann – ein bisschen Drama mit dem One-Night-Stand später – gibt es eine kurze Intro-Sequenz mit knackiger Musik im Cut-Out-Look (siehe „4Blocks“, „Preacher“ etc. ). Authentische Locations (Moschee, Geschäfte, Schule, etc.) und viele Darsteller:innen und Statist:innen, verpassen den vier Episoden einen hochwertigen Look. Na klar, rein technisch gibts nach oben keine Grenzen; ist immer mehr möglich und brennt hier und da auch mal ein Fenster aus. Wer sich aber abseits vom US-Markt auch mal europäische Kleinstproduktionen in Film und Serie anschaut, wird schnell feststellen, dass die Kluft zwischen Moritzplatz und vielen anderen Formaten nicht riesig ist. Übrigens auch beim Schauspiel. Die Chemie zwischen den Darsteller:innen täuscht über den ein oder anderen Holzsplitter im Acting hinweg. Im allerbesten Sinne verbindet „Moritzplatz“ typische Mumblecore-Ästhetik mit guten Drehbüchern. Und das hat seinen Reiz. Ungeachtet dessen, ist es sehr angenehm, dass Magdeburgs vermeintliche Problemzonen nicht direkt nach Tod und Elend aussehen – ja, ich schaue Dich an „Polizeiruf“!

Auditiv wird das Ganze von einem eigenen Score aufgelevelt, für den Christoph Paul Börner, Matthias Petsche und Sebastian Timpe verantwortlich zeichnen. Famos und hoffentlich bald famous.

Das serielle Erzählen ist eine anspruchsvolle Kunstform und ich näsele (nicht ganz) neidfrei ein „ Schapöchen !“ in Richtung der gesamten Produktion. Der OK Magdeburg hat sich damit ein Prestige-Projekt gesichert, das definitiv über die Sachsen-Anhaltinischen Grenzen hinaus Beachtung finden sollte.

P.S. Da „Moritzplatz“ eine OK-Produktion ist, sind natürlich die üblichen Verdächtigen beteiligt; darunter Rouven Dietrich, Jenny Langner und mehr. Konsekutiv dazu kann ich auch das Making-of zur Serie empfehlen, gebaut von Ole Freier und tatsächlich nicht weniger einfühlsam als die Serie selbst.

Gratis-Hörspiel: Die Flut

Auch diesmal gibt es wieder einen Hörspiel-Tipp. Die Thriller-Anthologie „Dark Mysteries“, aus dem Hause Winterzeit, liefert zwar nicht nur Hörspielgold ab, ist aber eine sichere Bank für die Fraktion B-Movie für die Ohren. Eine meiner Lieblingsfolgen steht jetzt zufällig für lau online: „Die Flut“. Zwei Pärchen, alles Unsympathen vor dem Herrn, stranden auf einer Insel. Mord, Intrigen – alles dabei. Viel Spaß.

Euer Film- oder Serienprojekte in MD+ verdient auch eine ausführliche Kritik? Who you gonna call? rob@dates-online.de

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