Die Erben des Stromberg

Nachgeschaut #94, Mai 2023 – Mockumentarys boomen. Punkt. Und der Osten hat jetzt auch eine. Nice.

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(RG)

Мир для України!

Der mediale Zeitgeist brüllt „Selbstdarstellung“. Auf Insta & Co. klickt Inszeniertes. An die Mär vom zufällig aufgenommenen Highlight-Reel glaubt niemand mehr. In journalistischen Formaten dominieren (gefühlt) On-Reportagen. Wir beobachten die Journalistinnen, wie sie ausschließlich für Schnittbilder auf Bildschirme starren und auf der Tastatur herumhacken. Trotzdem erfreuen sich Mockumentarys – also jene Form gestellter Dokuformate, die es zwar schon seit Jahrzehnten gibt, die aber mit Serien wie „The Office“ und „Stromberg“ Anfang der 2000er eine Renaissance erlebten; ähnlich wie das Genre-Geschwisterkind des Found-Footage – größter Beliebtheit.

In Deutschland hinterließ das Serienende von „Stromberg“ ein Vakuum und drängelt halbtalentierte Tastenäffchen wie mich in die Position, jede deutsche Mockumentary-Sitcom mit eben jener ikonischen Serie zu vergleichen, die Namen wie Christoph Maria Herbst, Bjarne Mädel und Arne Feldhusen in unsere Köpfe gehämmert und das Kunststammeln in Konversationen salonfähig gemacht hat. Auf Amazon überraschte vor drei Jahren „Die Discounter“ als eine Art Stromberg im Supermarkt (da, schon wieder – es ist einfach zu verlockend!), inklusive Arbeitsplatzromanze, Kack-Chef und überraschten Blicken in die Kamera.

Sowohl Stromberg als auch Die Discounter sind mindestens freie, teilweise direkte Adaptionen; siehe The Office (UK) und Vakkenfullers (NL). Dass einer der wenigen originären Mockumentary-Stoffe ausgerechnet aus der Zone der Freude (Mitteldeutschland) kommt, ist mindestens mal bemerkenswert.

Irgendwas mit Medien: Wenn Fremdscham ein Gesicht hätte

In „Irgendwas mit Medien“ begleitet ein Kamerateam einen 19-Jährigen bei seinem Semesterstart ins Medienkunst-Studium. Lennart (Mirko Muhshoff) ist Streber, quirky, Pedant, Opportunist und zeigt sich unnötig aufgeregt beim Thema Sexspielzeug – im Prinzip wie Str////// in jung. Schon in den ersten Sekunden richtet sich der stilistische Kompass aus. Wenn Lennart das bemühte Dauergrinsen nicht aus dem Gesicht bekommt, während er neben seiner Mutter (Ulrike Winkelmann) steht und seine Urkundensammlung zeigt, inklusive der Urkunde für die meisten Urkunden. Im Laufe der acht Episoden teilt er sich die Screentime zunehmend mit dem Langzeitstudenten Simon (Jano Kaltenbach), der wenig subtil, aber erstaunlich unterhaltsam geschrieben, Lennarts Probleme spiegelt: In Lennarts Beziehung kriselt es – Simon hat Probleme in eine Beziehung zu kommen; Lennart strebt nach dem Abschluss – Simon strebt ins 13. Semester; you name it. Dozent:innen sind parasoziale Menschenimitate und Arschmaden vor dem Herrn – we call it Studium.

„Irgendwas mit Medien“ trifft den Nerv der Generation Geltungsdrang. Es gibt eine Szene, die Lennart und die Beziehung zu seiner Umwelt in meinen Augen am besten destilliert: Nach dem er sich ausgesperrt hat und ein darauffolgendes Telefonat mit seiner Freundin abrupt endet, versucht er das angeknackste Emotionsruder herumzureißen, schaut in die Kamera und will sich selbst und das Drehteam motivieren: „... oder sollen wir vielleicht doch noch zu dieser Kneipentour da? … Ja, lass’ das machen, oder? JA, LET’S GO! LET’S PARTY HARD! PROST IHR SÄCKE … “ Danach gestikuliert er sich mit der Grazie eine r angesägten Marionette in die Nacht und springt plötzlich hochnotpeinlich umher – „ und da haltet ihr das Bild dann an … wo ich so … “

Denn wie auch später, funktioniert das Konstrukt „Lennart“ nur in dessen Vorstellung einwandfrei; i n der Realität zerbröselt der opportune Besserwisser an seiner Umwelt. Wie bei den meisten Mockumentarys gleicher Bauart gibt es emotionale Payoffs – wenn man gewillt ist, sich überhaupt emotional drauf einzulassen. Wenn ja, wird man zwischendurch mit Schmunzelmomenten belohnt, Wohlfühl-Fremdscham zum mitcringen und vier, fünf Awww-Momente … weil … „aaawww“, u know?

In puncto Spiel steht Muhshoff die Rolle gut, auch wenn man die Suspension of Disbelief schon fast zerreißt, um zu schlucken, dass der sympathische Endzwanziger ein unsympathischer Endneunzehner ist. An Kaltenbachs (Simon) zelebrierter Lethargie scheiden sich womöglich die Geister. Die einen (ich) werden darin den perfekten Eisberg zu Muhshoffs Titanic sehen und die anderen interessieren mich nicht. Dass ein Groß der MD-Produktion „Moritzplatz“ in der Serie auftaucht, ist entweder reiner Wirtschaftspragmatismus oder ein Zeichen dafür, dass wir in Mitteldeutschland genauso gut klüngeln können, wie die in Berlin, Hamburg oder … keine Ahnung, Finsdorf.

Die gewählte Erzählform verzeiht vieles, etwa Schwächen im Spiel, der Story oder auch in der Kameraführung. Die Mockumentary ist die Shapewear der TV-Comedy-Formate und „Irgendwas mit Medien“ trägt diese konzeptionelle Bauchwegstrumpfhose voller Stolz.

Ein Serientipp.

Alle acht Episoden der ersten Staffel „Irgendwas mit Medien“ sind in der ARD-Mediathek kostenlos abrufbar.

Strombergs Erben: Eine Watchlist

Und weil ihr Quadrataugen schon wieder hibbelt und doch gleich wieder „Serie so wie Strmobrge“ ins Ecosia hackt, komme ich mal meinem selbstauferlegten Servicegedanken nach und liste fix fünf Serien auf, die ihr direkt bingen könnt:

Die Discounter: Stromberg im Supermarkt

Almania: Stromberg in ‘ner Brennpunktschule

Fraktus: Stromberg als Musikdoku

The Office (UK): Original-Stromberg

Parks & Recreation: Stromberg im Grünflächenamt

Wenn ihr mir schmutzige Witze zuflüstern oder mich als Vorher-Model für einen Diät-Werbespot besetzen wollt, schreibt gerne: rob@dates-online.de 

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