Endzeittagebuch Part III: Jahr 2020 ... die überleben wollen

Nachgeschaut #63, September 2020 – Sehet, da kommt der Heilsbringer des Kinos: „Tenet“. In dieser Kolumne wollen wir uns ein wenig mit dem Zeitreise-Spionagefilm beschäftigen. Und mit Sex. Hallo!!!

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Hygienekonzept für diese Kolumne:enmuloK eseid rüf tpeznokeneigyH

Das Bild da oben hab ich an der Westringbrücke geschossen. Aus der Bahn gestiegen, Maske abgesetzt, zur Bushaltestelle gepeilt, Wolkenbruch. Waren Zombie und Flugzeug wirklich da? Keine Ahnung. Aber Realität hat dieser Tage ja sowieso keinen Bestand mehr. Anders kann ich mir die blanke Existenz von Konzertfilmen wie „David Garret: Unlimited – Live in Verona“ nicht erklären! Eine erektile Dysfunktion mit Geigenmusik – danke, schön. Sind Kinos dafür da? Und wenn ja, wie lange noch? „Wie: 'Wie lange'?“, höre ich Dich da schon in Deinen Prosecco-on-the-Rocks näseln.

Tenet: Prolog

Kurzer Flashback: Mein Chefredakteur fragt mich kurz vor Deadline, ob der „Schicksalsfilm Tenet“ in meiner aktuellen Kolumne eine Rolle spielt. Ich überlege, denke daran zurück, dass ich die krude Veröffentlichungspolitik um den Streifen schon früher besprochen habe und verneine. Es ginge um den Stellenwert als Blockbuster in Corona-Zeiten. Ich überlege. Und plötzlich fällt mir ein, dass Disneys lang erwartete Realfilm-Adaption „Mulan“ am Kino vorbei gezerrt und direkt zu Disney+ deportiert wurde, wo er vom Pöbel für 30 Taler benutzt werden darf – solange sie Kunden des House-of-the-Mouse-Streamings sind. Der Zeitreise-Agenten-Thriller „Tenet“ hingegen läuft seit Ende August im Kino. Was aber, wenn sich die 200 Millionen-Dollar-Produktion an den Kassen nicht refinanziert? Welche Lehre ziehen Hollywoods Big Five daraus? Weniger Budget? Weniger Kinoauswertungen? Und bedeutet das den Tod der großen Kinos? Vielleicht, ja. Vielleicht reißen Cinemaxx, -star & Co. aber auch einfach vermehrt das Programmkino an sich. Und wenn der Preiskampf eröffnet ist, für welches Fünf-Euro-Kinoticket entscheidest Du Dich: Cinepomp oder Moritzstudio?

Tenet: Verkopfter Effektpomp mit toller Musik

Ein namenloser Agent (James David Washington) wird mit der Rettung der Welt beauftragt. In der Zukunft hat eine Organisation die Möglichkeit Menschen und Gegenstände zu „invertieren“. Diese bewegen sich dann rückwärts in der Zeit. Deren Ziel ist es, die gesamte Welt zu invertieren und damit die Existenz selbst auszulöschen und neuzustarten.

Für „Interstellar“ erforschte Nolans VFX-Team in Kooperation mit Astrophysiker Kip Thorne die Gravitation schwarzer Löcher. Cool. Für „Tenet“ hat er sich wieder von Thorne beraten lassen. Aber wofür? Für eine Story, die keine Sau versteht. Also, na klar begreift jeder Stammhirnbesitzer das Spionage-Gedöns; Agenten-Schurken-Länderreisen. Und auch wenn Darsteller Robert Pattinson tausendmal sagt, dass es nicht um Zeitreise geht, sind Figuren in „Tenet“ ja nicht deswegen doppelt auf dem Bildschirm weil sie geklont worden wären! Auch jeder „Tatort“-Drehbuchautor denkt sich bestimmt zig Mal, dass er eine furchtbar coole Idee für einen SciFi-Film hat. „Was wäre, wenn...?“ Der Unterschied ist nur, dass Christopher Nolan für jedes seiner "Was-wäre-wenns" mit Geld zugeschissen wird, in diesem Fall mit 225 Millionen US-Dollar. Und dafür bekommt der geneigte Zuschauer bombastische Action-Sequenzen, in denen Figuren gegeneinander kämpfen, deren Zeitströme konträr verlaufen. Und der Score von Ludwig Göransson ist wie ein extra flauschiges Wattestäbchen für die Ohren. Versucht man allerdings der Story zu folgen oder diesem „bahnbrechende[n] Science-Fiction-Action-Meisterwerk“, Zitat Filmstarts.de, Antworten abzuringen, brüllt man im Zehnminutentakt „Bullshit!“. Auf der einen Seite bekommen wir egale Figuren aus dem Stereotypen-Katalog vorgesetzt (russischer Bösewicht, bedrohte Ehefrau, Superspion), auf der anderen Seite ergeht sich der Film zweieinhalb Stunden in erzählerischer Selbstgefälligkeit und einen Plot, den man sich scheinbar erst nach dem Film im Selbststudium erarbeiten muss. Und so gerne ich Filme beim Rewatchen neu entdecke, so wenig Lust habe ich darauf „Tenet“ überhaupt zu entdecken.

Feministische Pornos

Und wo ich hier gerade schon so on fire bin, darf es doch ruhig noch etwas heißer werden. Im Studiokino läuft ab dem dem 24.09. die Kurzfilm-Anthologie „XConfessions Night“, von Autorin und Regisseurin Erika Lust, der Ikone des feministischen Pornofilms. Von Kritikern hart ins Gesicht gelobt und in den Feuilletons zärtlich umgarnt, ist „XConfessions Night“ ästhetisch und inhaltlich sicherlich die wertvollere Alternative zu YouPorn. Erotikfilm ist nicht gleich Schmuddel – that's the message. Das musst Du jetzt einfach mal so schlucken.

Du werkelst gerade an Deinem Erotik-Highlight? Oder an „Tenet 2“. Red' doch mit mir, verdammt nochmal: rob@dates-online.de

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