Peter Lohmeyer: Ich würde so gerne bei meiner Beerdigung zugucken

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© gluthfilm

Sun City, Arizona. Eine Stadt, 1960 aus dem Boden gestampft, um Bewohnern ab 55 Jahren einen ruhigen Lebensabend ganz nach ihrem Geschmack zu ermöglichen. Filmemacherin Susan Gluth hat den Ort über viele Jahre hinweg besucht und mit den Bewohnern zwischen Bingo und Punkrock über Themen wie Leben, Tod und Sex im Alter gesprochen.

Herr Lohmeyer, der Film überlässt es dem Publikum, ob es diese sehr besondere Stadt gut oder bedenklich findet. Was für eine Meinung haben Sie sich über „Sun City“ gebildet?

Der Film löst aus, was Sie sagen. Man ist irgendwo dazwischen. Manch ein Zuschauer mag sich noch gar nicht mit dem Leben im Alter auseinandergesetzt haben. Dann beobachtet er Menschen, die sich sehr wohl Gedanken gemacht haben und ihre Pläne konsequent durchziehen. Es wird einem bewusst, dass das Thema mit jedem von uns zu tun hat, auch wenn man es bisher vielleicht verdrängt hat. Man stellt sich die Frage, ob man auf ein solches Leben Lust hat oder nicht. Anscheinend fühlen sich die Bewohner von Sun City ja wohl. Sie blühen noch einmal auf und fühlen sich vielleicht zum ersten Mal sicher. Sie haben mehr Kommunikation, was sehr wichtig ist. Von daher sehe ich das erstmal positiv. Ob ich mir so ein Leben persönlich vorstellen kann, weiß ich nicht. Die Amerikaner machen es uns erstmal vor. Und ich sehe es durchaus in meinem Bekanntenkreis, dass sich Menschen Gedanken über später machen, zum Beispiel über Wohngemeinschaften. Und diese Gedanken finde ich richtig und klug.

Könnte dieses Modell auch in Deutschland funktionieren oder ist es typisch für die amerikanische Mentalität?

Man müsste es mal ausprobieren. Ich bin da gar nicht so skeptisch. Bei manchen Sachen sind die Amerikaner merkwürdigerweise vorne. Sie haben es einfach gemacht.

Aber ist „Sun City“ nicht eine Art Ghetto?# Ja. Man hat eine ganz neue Stadt gebaut. Es stimmt schon: Wenn man nach Sun City kommt und noch nicht 55 oder 70 ist, denkt man sich: „Uih!“. Auf Besuch kommen darf ich hier, aber leben dürfte ich hier nicht. Das hat schon etwas Merkwürdiges. Was ich gern daran mag, ist diese Selbstbestimmung. Die Leute sagen sich, hier geht es endlich um uns. Dieses Gefühl fehlt viel zu sehr in unserer Gesellschaft: Jetzt geht es endlich mal um uns Frauen. Oder um uns alte Menschen. Um uns Kinder. Ich mag es, wenn die Leute in Sun City sagen, wir wollen es jetzt friedlich haben.

Bereitet es Ihnen Sorgen, wenn plötzlich Zipperlein auftauchen und Haare an abenteuerlichen Stellen wachsen?

Nee. Meine Glatze sehe ich ja nicht. Höchstens, wenn ich mal in einem Aufzug stehe, mit tausend Spiegeln drumherum. Ich mache mir allgemein wenig Gedanken um diese Dinge. Das macht man wohl erst, wenn es wirklich weh tut oder man sich nicht mehr bewegen kann. Aber ich bin sehr im Hier und Jetzt. Ich habe vier gesunde Kinder, über die man sich manchmal ärgert und meistens freut. Da kommt einem gar nicht der Gedanke an Abschied. Mit Abschied hätte das ja zu tun. Wenn ich Kinder habe, dann habe ich auch irgendwann Enkelkinder. Sie alle werden schon dafür sorgen, dass es mir nicht dreckig geht. Ich war zu ihnen bisher ja auch ganz nett. Außerdem habe ich das Glück, privilegiert zu sein.

Inwiefern?

Die meisten Menschen müssen sich schon Sorgen um ihre Rente machen. Ich konnte vernünftig vorsorgen, weil ich das Glück hatte, mit tollen Leuten tolle Filme machen zu dürfen und damit Geld zu verdienen. Ich muss mir keine Sorgen machen. Dann sind auch Gedanken daran ferner, dass mir plötzlich etwas passieren könnte. Das ist alles ganz weit weg. Das ist keine Verdrängung, das ist so. Ich bin fröhlich dabei und denke nur selten über das Alter nach. Das Schönste wäre natürlich ein Zurück zur Großfamilie, wo man den Umgang miteinander lernt, weil der Enkel zusammen mit den Großeltern lebt. Dann weiß auch jeder, was es bedeutet, wie es alten Menschen geht. Man sollte das Altwerden nicht verdrängen, sondern in die Gesellschaft reinholen. 

Im Salzburger „Jedermann“ sind Sie der Tod. Fürchten Sie dieses Alter Ego?

Nee. Ich weiß ja gar nicht, was das ist. Niemand weiß, was das bedeutet oder ob noch etwas danach kommt. Ich finde nur schade, dass ich manche Sachen nicht mehr erleben werde. Die Meisterschaft von Schalke 04. Mit den Enkeln meiner Kinder spielen. Solche Dinge. Wenn der Tod kommt, soll er bitte ganz schnell kommen. Ich möchte bloß nicht in eine Situation geraten, in der ich weiß, dass ich sterben werde. Zum Beispiel durch eine Krankheit, durch die man monatelang ans Bett gefesselt ist und alle nochmal vorbeikommen. Da hätte ich keine Lust drauf.

Ihr Vater war evangelischer Pfarrer. Sind Sie religiös?

Nein. Ich bin schon lange ausgetreten. Die Institution der Kirche ist nicht so mein Verein. Ich mag Kirchen und Orgelmusik gerne. In einer Kirche überkommt mich schon ein meditatives Gefühl. Sie wurden ja für Gemeinschaften gebaut. Als solche akzeptiere ich sie. Aber für alles, was darübersteht, dieses nicht Greifbare und Merkwürdige, bin ich viel zu konkret und viel zu fordernd nach Antworten, die ich aus so einer Welt nicht kriege. Deshalb bin ich keiner Kirche angehörig.

Befürworten Sie die Sterbehilfe?

Ja, ich finde sie völlig in Ordnung. Darüber sollte man entscheiden können, solange man noch eine klare Birne hat. Ich habe auch einen Organspender-Ausweis. Man kann mir alles rausnehmen, wenn mir etwas passiert. Gleichzeitig kann man auch sagen, Kinder, wenn ich nächste Woche zwei, drei Schlaganfälle kriege und nicht mehr weiß, wo links und rechts ist und mein Gehirn nicht mehr funktioniert, dann schaltet bitte die Geräte ab. Das ist ein absolut korrekter Weg, den man gehen kann und auch darf, ohne gesetzliche Schwierigkeiten zu bekommen. In der Schweiz ist auch Sterbehilfe möglich, in Deutschland leider nicht. Das verstehe ich nicht. Ich bin der Meinung, dass in solchen Fällen jeder selbst darüber entscheiden können sollte, wann er aus dem Leben geht. Ich meine einen begleiteten Alters- oder Krankheitssuizid von Menschen, die einfach nicht mehr können.

Wie oft sind Sie schon im Film gestorben?

Oh! Sehr oft. Ich schätze, zwanzig Mal bestimmt. Es ist sehr schwer, einen Tod im Kugelhagel glaubhaft darzustellen. In „Bunte Hunde“ habe ich es ganz gut hingekriegt, glaube ich. Es hängt ja auch vom Schnitt ab. Man entwickelt so eine Western-Mentalität. Ich achte da immer sehr drauf, wenn ich mir einen Film anschaue. Man hat mich schon öfter gefragt, ob es schwer ist, im Film zu sterben. Ich habe auch mal einen Film mit Michael Klier gemacht, mit den Kollegen Rohde, Klaussner und Hübchen. Das war ganz interessant. Ich spielte älter, über sechzig. Und die Kollegen sind ja auch alle zehn Jahre älter als ich. Ich war in einem Sterbe-Hospiz und sie waren alle um mich herum. Das war spannend, wie immer, wenn Dinge direkt mit dem wahren Leben zu tun haben. Man überlegt dann, wie man mit solchen Situationen umgehen würde. Es sind dann aber nicht alle traurig. Man kann auch darüber lachen und die Atmosphäre kann entspannt sein. So geht es am besten, wenn man es dreht.

Wäre ein Tod auf der Bühne für Sie reizvoll?

Ich hätte zumindest kein Problem damit. Aber so ein bisschen muss man auch immer an die Anderen denken. Aber warum nicht? Ich bin eitel genug, dass ich das ertragen würde. Das Blöde am Tod, das, was mich ärgert, sind die Sachen, die danach kommen. Was hat man selbst davon? Gar nichts! Ich würde so gerne bei meiner Beerdigung zukucken. Wer ist dabei und wie wird getrauert? Das verpasst man leider.

Gespräch: Andre Wesche

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