Römisches Denkmal

Ein Gespräch mit Schauspieler Samuel Finzi über seine Rolle als Statius an der Seite von John Malkovic in "Seneca".

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© Filmgalerie 451

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Der römische Philosoph Seneca hat den jungen Mann, der einmal Kaiser Nero werden würde, als Lehrer und Ghostwriter auf sein späteres Amt vorbereitet. Als er in Ungnade fällt, lässt der Machthaber in spe seinem Mentor die Wahl zwischen Hinrichtung und Selbstmord. Regisseur Robert Schwentke („Der Hauptmann“) setzt Seneca ein filmisches Denkmal, künstlerisch völlig frei, bemerkenswert aktuell, zuweilen sehr brutal und mit einem famosen John Malkovich in der Titelrolle. Schauspieler Samuel Finzi (57) ist als Senecas Faktotum Statius zu erleben. Ein Gespräch.

Herr Finzi, hatten Sie beim Lesen des Drehbuchs bereits eine Vorstellung davon, wie der fertige Film aussehen würde?

Um ehrlich zu sein, nein. (lacht) Ich kannte auch schon frühere Phasen der Entwicklung. Trotzdem habe ich es mir nicht so extrem vorgestellt. Den Humor und das bittere Lächeln habe ich von Anfang an verstanden. Aber dann diese Form, die Erzählweise und vor allem wie diese Theatralik ins Filmische umgesetzt wurde! Ich rede nicht nur über das gespielte Stück innerhalb des Films, sondern auch über das Benehmen der Figuren, die leicht überspitzt, aber trotzdem wahrhaftig sind. Das hat mich überrascht. Und dass das so gut funktioniert, hat mich begeistert. Ich weiß noch, dass ich nach der ersten Vorführung nicht wusste, wie ich Robert meine Erfahrung beschreiben sollte. Ich hatte etwas beigewohnt, was ich so noch nicht erlebt habe. Eine Art von Katharsis, die auf diese Weise kommt, habe ich noch nie gehabt.

Was haben Sie über Ihre Figur Statius in Erfahrung gebracht?

In der Beschreibung heißt es: „Befreiter Sklave.“ Er war also ein Sklave Senecas, der seinen Verpflichtungen entbunden wurde, dafür aber als treuer Begleiter immer dabei ist. Er ist der Mann, an den sich Seneca jederzeit anlehnen kann. Er ist aber auch einer, der schauspielt, er stellt eine von Seneca geschrieben Figur dar. Diese Kombination von Extremen hat mich gereizt. Das war meine dritte Arbeit mit Robert Schwentke. Wir vertrauen uns gegenseitig. Er sagt immer: „Lies das Drehbuch. Ich habe das für dich vorgesehen, aber wenn du etwas anderes spielen möchtest, sag es mir.“ (lacht) Was er da für mich vorgesehen hatte, fand ich absolut richtig. Dann habe ich mich mit seinem Aussehen beschäftigt. Als Schauspieler interessiert es mich, weg von mir selbst zu gehen, mich als anderen Menschen zu sehen. Wir haben überlegt, wie Statius aussehen kann. Irgendwann sind wir zu dem gekommen, was man jetzt sieht. Am Ende kam Ersan Mondtag mit seiner Vision der Theateraufführung von Senecas „Thyestes“. Das war auch sehr überraschend. Ich dachte: „Okay, das muss ich jetzt füllen. Dieses Äußere und die Form dürfen dich nicht überrumpeln. Du musst diesem Charakter auch im Theaterstück eine Glaubwürdigkeit verleihen.“ Das war eine Herausforderung, muss ich sagen. Ich habe mich aber reingestürzt.

Im genannten Theaterstück spielen Sie zwei Kindern übel mit. Wie nähert man sich solchen Szenen?

Alle am Set und auch ich als Vater von Kindern haben uns um die beiden Jungs gesorgt. Es waren 40° da draußen in der Wüste. Wir haben sehr früh angefangen, zu drehen. Es war wirklich nicht ohne. Wie diszipliniert Geraldine Chaplin, eine 78-jährige Dame, mit der Sache umging, können Sie sich nicht vorstellen. Sie stand die ganze Zeit da draußen in der Hitze und hat keinen Mucks von sich gegeben. Trotzdem herrschte eine sehr gute Atmosphäre. „Seneca“ ist ein Ensemble-Film, in dem aber eine Person einen Monolog hält. Es war eine konzentrierte und dankbare Arbeit. Wir haben die ganze Zeit aufeinander gehockt, alle waren am Set. Manchmal ist es beim Film so, dass man zwei Szenen später kommt. Hier waren alle von morgens bis abends zusammen. Das war eine sehr geladene Arbeit, aber im guten Sinne. Ich muss traurigerweise erwähnen, dass mein Kollege Julian Sands verschwunden ist. Das hat mich sehr mitgenommen. Ich habe ihn während der Arbeit sehr liebgewonnen und wir hatten danach noch viel Kontakt. Wir wissen immer noch nicht, was mit ihm passiert ist.

Wie haben Sie die Zusammenarbeit mit John Malkovich erlebt?

Es ging sehr schnell. Wir trafen uns Anfang September im Hotel zu den ersten Leseproben. Es gab überhaupt keine Floskeln, es ging direkt zur Sache. Da er bekannterweise ein Theaterschauspieler ist, haben wir sehr schnell eine gemeinsame Sprache entwickelt. Er ist ein sehr guter Partner, der sowohl vor als auch hinter der Kamera mit demselben Elan und derselben Energie mitspielt. Er hat seine Dialoge gehalten und stand für jeden von uns dort, wo er stehen musste, damit wir die richtigen Reaktionen darauf hatten und nicht nur einen Blick ins Leere simulieren. Er war von morgens bis abends da. Das fand ich ganz toll. Beim Drehen wartet man oft, bis das Licht und die Kameras eingerichtet sind. In diesen Pausen haben wir über alles Mögliche geredet, von Politik über Kunst bis zu Menschen. So wie Schauspieler das am Set nun mal machen, ein bisschen Klatsch und ein paar Witze. In ernsten Gesprächen haben wir Erfahrungen darüber ausgetauscht, wer wo was gespielt hat. Ganz normal.

„Seneca“ ist eine Parabel über die Gefahr maßloser Macht und totalitärer Systeme. Mehr als 2.000 Jahre lang setzen sich Philosophen und Künstler damit auseinander, aber die Menschheit ist nicht klüger geworden. Zweifelt man deshalb an der Wirksamkeit seines Tuns?

Ständig! Sonst gäbe es kein Vorankommen. Wenn ich sicher wäre, dass das wirkt, würde ich mich hinsetzen und nichts mehr machen. Aber der ständige Zweifel treibt mich voran. Ich bin sowieso von Natur aus ein großer Skeptiker, was die Entwicklung der Menschheit betrifft. Trotzdem mache ich weiter. Es ist dieser Widerspruch, der mich nährt. Trotz des Mangels an Licht am Ende des Tunnels geht man mit umso mehr Energie durch ihn hindurch. Das hätte von Seneca sein können! (lacht)

Ein weiteres zentrales Motiv der Geschichte ist der Tod. In Ihrer Arbeit müssen Sie sich immer wieder mit diesem Thema auseinandersetzen. Hat das Ihr Verhältnis zum Tod und zum Sterben entspannt, sind Sie zum Stoiker geworden?

Das ist eine gute Frage, weil ich in meiner eigenen Biografie mit dem Tod meines liebsten Menschen konfrontiert wurde. Wenn man einmal so eine Phase durchmacht, denkt man: „Was kann mir denn noch passieren? Höchstens, dass ich selbst verschwinde. Na und?“ Trotzdem glaube ich, dass es ganz anders aussehen wird, wenn der Moment mal kommt. Um ehrlich zu sein, denke ich gar nicht daran. Ich benehme mich so, als wäre ich immer noch 20 und als würden noch 120 Jahre vor mir liegen. Das ist aber keine Gleichgültigkeit dem Tod gegenüber. Als Spieler hast du ständig mit dem Tod zu tun. Dieses Ausloten von Abgründen oder Lügen geht ins Extreme und beinhaltet einen Todesgedanken. Zu sagen, dass ich überhaupt keine Angst vorm Tod hätte, wäre gelogen. Keiner will sterben. Ich mache mir nur keine großen Sorgen darum.

Wäre der legendäre Tod auf der Bühne erstrebenswert für Sie?

Am besten im Schlaf sterben. Das wäre das Beste, finde ich. Seneca schafft das aber nicht. Selbst das kann er nicht, Wahnsinn. Irgendwann äußerte Robert Schwentke den Gedanken: „Das ist eigentlich der größte Opportunist.“

Im Film heißt es: „Die Götter haben uns verlassen. Sind wir die Generation, die es verdient hat?“ Haben Sie das Gefühl, dass wir in einer zerfallenden Gesellschaft wie dem antiken Rom leben?

„Zerfallend“ weiß ich nicht, aber auf jeden Fall sehr zerstückelt. Vielleicht ist es schon der Zerfall, wenn man die Zukunft nur noch schwärzer sieht. Die Menschen reden immer gern über äußere Einwirkungen. Als ob wir nicht selbst die Schuld daran tragen, dass wir dort gelandet sind, wo wir gelandet sind. Es heißt: „Die Medien, Regierung und Politiker!“ Wo sind wir denn? Wir sind alle daran beteiligt, auch an der Zerstörung der Natur. Wenn wir uns selbst so viel Leid zufügen können, ist der Mensch ein ziemlich unentwickeltes Wesen. Wie kann man sich so grundsätzlich in die Scheiße reiten? Immer und immer wieder, es hört nicht auf. Dass wir daraus nichts lernen … Ich verstehe uns nicht.

Sind Sie ein Atheist?

Ja. Ich bin nicht religiös erzogen worden. Ich pflege einen Ausdruck meines Vaters, der gerne sagt: „Es gibt natürlich keinen Gott. Es gibt aber Kräfte, die ab und zu da sind und etwas schaffen, was uns unerklärlich ist.“ Er glaubt auch nicht an Gott und ich bin sowieso nicht so erzogen worden. Insofern bin ich Atheist. Ich suche Erklärungen nicht außerhalb meiner Gegenwart und meines Umkreises von Menschen. Das bedeutet Atheismus für mich.

Wünschten Sie sich mehr Produktionen, die es wagen, die ausgetretenen Pfade zu verlassen?

Sehr gerne! Ich finde den Pseudo-Realismus, der uns im Kino vorgegaukelt wird, wahnsinnig langweilig. Den Weg, den Robert Schwentke geht, finde ich in seiner Art, sich mit Themen zu beschäftigen und daraus Kunst zu machen, sehr fordernd und spannend. Vor allem nicht langweilig. Ich kann dieses quasi Hyperrealistische nicht mehr. Wir haben alles gesehen, diese Narrative der Form ABCA. Wir wissen, wie jede Geschichte endet, egal wie gut sie gespielt wird. Natürlich wird das von so manchem Schauspieler gehasst. Trotzdem werden 80% der Filme so linear erzählt.

Darf Ihr Sohn Ezra (15) den Film schon ansehen?

Auf jeden Fall. Er war auch bei den Dreharbeiten dabei. Er hatte Ferien, da ist er mitgekommen und hat am Set geholfen. Da gabs gute Laune. John mag ja Kinder und als ein Freund von ihm Geburtstag hatte, hat er Ezra sogar gezwungen, „Happy birthday!“ zu singen. (lacht)

Seneca, Filmstart am 23. März

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