Tokio Hotel: "In Amerika sagen die Leute über unsere Musik 'geiler, cooler Indie-Scheiß'"

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© Martin Ehleben

© Mindjazz Pictures

Mal schillernd, turbulent und voller Geschrei - mal ruhig, besonnen und in der Natur. Von dem Spiel mit den Kontrasten lebt die Dokumentation über Tokio Hotel. "Hinter die Welt", angelehnt an die Songline aus ihrem Mega-Hit "Monsun", gibt Einblicke in die Welt einer der erfolgreichsten Bands Magdeburgs, Deutschlands und darüber hinaus. Inzwischen sind es junge Männer, die sich vor der Kamera reflektieren. "Die gleichen vier Kinder wie damals bilden auch heute die Band", so Georg, der sich ganz gewöhnlich an der Elbe zeigt. Von 0 auf 100 kam der Erfolg als sie im Sommer 2005 mit "Monsun" durch die Decke gingen. Die Fans waren nicht nur in den Konzertsälen, sie waren überall, belagerten auch die Schule. Bis zu acht Securitys brauchten die Newcomer auf einmal - ein Leben auf der Überholspur. Und doch war nichts geplant. "Die Maschinerie Tokio Hotel, wie viele immer behaupten, gab es nie! Es war eher Erfolg durch Zufall", so Bill. "Ich wollte schon immer performen, Leute unterhalten.", erklärt er und so sieht man Ausschnitte der vier Teenager aus dem Gröninger Bad. "Dort trafen wir auch Gustav und Georg". Beim erneuten Besuch erinnern sich die beiden an die "Devilish"-Zeiten. Georg erzählt: "Wir hatten eine verantwortungsvolle Führungsrolle in frühen Jahren" und mit all dem Erfolg kam auch der Hass und Neid.

Bill und Toms exzentrisches Leben in L.A.

"Wir haben 15 Leute auf der Payroll seit wir 15 Jahre alt sind", ergänzt Bill aus einem Park in L.A, wo er mit Tom und den Hunden spazieren geht. Bill wirkt mit Steampunk-Brille und den vielen Tattoos wie ein junger Lenny Kravitz. Ein Kontrast zu seinen Bandkollegen in Magdeburg nicht nur im Äußerlichen. Er ist Exzentriker durch und durch, wollte sich schon in jungen Jahren nie anpassen und glänzt durch glamouröse Outfits. So gibt er zum Beispiel den "König" auf der World Tour, die die Jungs in Mexiko, Russland oder Berlin zeigt. Die Bühne scheint Bills zu Hause. Kreativ sind er und sein Bruder jederzeit. So wird man Teil von Momenten der beiden bei der Studioarbeit. Es geht um neue Songs, neue Ideen, um scheinbar all das, was Spaß macht. Und die anderen beiden? Gustav hat privat und innerhalb der Band die Vater-Rolle inne. Ganz bodenständig sieht man ihn Boot fahren, während Georg, für die Buchhaltung und die Live-Planung zuständig, entspannt durch den Stadtpark joggt. "Ich mag Magdeburg und seine Natur, auch wenn es schönere Städte gibt. Freunde sind viel Wert." "Ein simples Leben in Magdeburg wäre für uns nicht infrage gekommen. Tom und ich sind exzentrischer, auch in unserem Lebensstil.", so Bill. Wahrscheinlich war es für die beiden die beste Entscheidung 2010 nach Kalifornien zu ziehen, denn der Hype um die Band wurde beängstigend. Es gipfelte mit einem Einbruch in ihre Hamburger Wohnung. "L.A. gab uns die nötige Anonymität und erstmals wieder einen Alltag mit Restaurantbesuchen, Führerscheinprüfung und Kino. Wir wollten einmal nicht im Spotlight stehen."

Es wird Comeback gefeiert

Das Ende von Tokio Hotel pfiffen viele schon von den Dächern, da standen die Magdeburger 2014 doch wieder im Rampenlicht. Mit zwei neuen Alben meldeten sich die vier Twenty Somethings wieder zurück. Elektronischer klingt ihr Pop auf "Kings of Suburbia" und "Dream Machine" und damit zeitgemäß. "In Amerika sagen die Leute über unsere Musik 'geiler, cooler Indie-Scheiß', in Deutschland heißt es nur 'kommerziell', so Bill. Er verfolgt mit den eigenen Texten und Bruder Toms Arrangements, angelehnt an die 80er, stets eine Vision. "Ich hab' keine Angst davor zu Mainstream zu sein. Man kann auch nur erfolgreich sein, wenn man es selbst geil findet." Eine Erkenntis, die im Popgeschäft nicht neu ist, aber ihn als abgeklärt erscheinen lässt. Ein Profi. Er kennt das Biz. Er ist routiniert im Umgang mit seinen Fans, die neuerdings fleißig VIP-Tickets mit Meet 'n' Greet kaufen. Deutschland und seine Heimat Magdeburg geben den beiden aktuell wieder das Gefühl von Geborgenheit. Die Zeiten der Flucht scheinen vorbei. Und wieviel Rock 'n' Roll gibt es auf Tour wird gefragt? "Ich würde sofort Panikattacken bekommen, wenn ich eine Show nicht gestemmt kriege. Bei zwei Monaten auf Tour ist nichts mit Rock 'n' Roll." 

Dokumentation: Tokio Hotel - Hinter die Welt, seit 30. November, Buch + Regie: Oliver Schwabe, Bildersturm Filmproduktion, zur Veranstaltung: 15.-17. Dezember, Studioklub im Studiokino, 21.12.-10.01.18, Puschkino, Halle

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