Michael Mittermeier: „Mein Job ist nicht der Zeigefinger“

Hoher Wiedererkennungswert! Kabarettist Michael Mittermeier lässt in humorvollen Episoden die Leserschaft an seinem Alltagsleben zwischen Homeschooling und TV-Komaschauen teilhaben.

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© Olaf Heine

Herr Mittermeier, hatten Sie es schon? Nein. Ich glaube nicht, dass sich seit dem letzten Test etwas geändert hat. Ich habe aber schon zweimal geglaubt, es zu haben. Bis jetzt war das Ergebnis negativ, oder ich hab keine Antikörper ausgebildet.  

Sie haben das Buch nach eigenen Angaben in Rekordzeit geschrieben. War es das Ventil für den von Ihnen beschriebenen Pointen-Stau? Ja. Und das war ganz wichtig. Es war eine Kamikaze-Entscheidung. Ende Juni habe ich gemerkt, dass ich raus musste. Und bei den Auftritten waren die Menschen so glücklich über die Geschichten, die ich über das erzählt habe, was mir gerade widerfährt. Ich habe im Grunde genommen auf der Bühne ein Programm improvisiert, das es gar nicht gab. Das alte Programm war abgespielt, das neue gab es noch nicht. Diese Erfahrung war so schön, dass ich das Gefühl hatte, das irgendwie aufschreiben zu müssen. Und das ging dann mit WARP-Geschwindigkeit.      

© Kiepenheuer & Witsch

Sie beschreiben auch einen krisenbedingt erhöhten Alkoholkonsum, womit Sie voll im Trend liegen dürften. Haben Sie einen alternativen Lebensstil für sich entdeckt? Dass ich jetzt nur noch Alkohol trinke? Nee. Aber das ist schon lustig. Ich muss beim Auftritt nur die Frage stellen: „Habt ihr im Lockdown auch alle so viel getrunken?“ und die Hälfte des Publikums bricht sofort in Lachen aus.    

In dem Zusammenhang merken Sie vorsichtshalber an, man sollte nicht gleich das Jugendamt anrufen. Auch das Ende des Buches ist versöhnlich. Sind es Anzeichen einer gewissen Altersmilde? Nicht wirklich. Deshalb habe ich das auch nicht geschrieben. Mir war klar, dass das Buch für mich als Mensch persönlich enden muss. Diese Monate waren ja auch sehr persönlich. Hauptimpuls des Buches war es, in die aktuelle Situation Humor reinzubringen. Ich habe so viele schlechte und verspannte Nummern über Corona und die politischen Gegebenheiten drumherum gesehen. Es langweilt mich. Ich habe so wenig wirklich Menschliches gesehen. Warum soll ich mir zum 20-sten Mal die x-te R-Zahl hinterm Komma erklären lassen? Mein Job ist nicht der Zeigefinger. Mein Job ist das Zwerchfell.

Friedrich Merz meint, dass sich durch Kurzarbeit in der Coronakrise Menschen daran gewöhnen könnten, ein Leben ohne Arbeit zu führen. Fragen Sie Friedrich Merz mal, was eine U-Bahn-Karte kostet. Er hat in den letzten 20 Jahren wahrscheinlich nicht an einer U-Bahn-Haltestelle gestanden und nicht mit Menschen über ihren täglichen Lebenswandel gesprochen. Er fliegt mit einem seiner zwei Flieger irgendwo hin. Really? Es tut mir fast weh zu sagen, dass selbst der Söder gegen ihn noch menschlich wirkt. Wenn mir das mal jemand gesagt hätte! Es gibt so viele Menschen, die zurzeit mit dem Leben kämpfen, auf zwei Ebenen. Die eine ist: Wir müssen uns alle zusammensetzen und schauen, dass wir irgendwie zurechtkommen. Viele haben nicht das Geld oder den Job dazu. Um mich muss sich niemand kümmern. Wenn ich nach dreißig Jahren on Tour Hilfe bräuchte, hätte ich etwas falsch gemacht. Aber es gibt viele Menschen, die wirklich Unterstützung benötigen. Viele Künstler bräuchten Hilfe, und zwar unkompliziert. Betriebsausgaben – das ist doch Bullshit! Die Betriebsausgaben eines Solokünstlers sind sein Auto, seine Miete, sein Essen und dass er seine Familie durchbringt. Und dann sitzt da ein Merz, der nicht weiß, was es bedeutet, sich allein durchzuschlagen. Insofern: Lerne erstmal wieder etwas übers Leben. Dann mach‘ den Mund auf.

Machen Sie sich dieser Tage häufiger Gedanken über die Zukunft unserer Kinder? Darüber mache ich mir schon sehr lange Gedanken, auch vor Corona. Allein, wenn ich mir das Klima anschaue. Ich mache mir auch Gedanken über das menschliche Klima. Diese Extremität, mit der die Leute heute reagieren, diese Shitstorms. Das macht mir echt Angst. Ich bin in der Schweiz aufgetreten, einen Tag, nachdem dort eine große Corona-Demo stattgefunden hat, mit QAnon-Leuten, Reichsbürgern und ähnlichen, zu denen man kein Wort findet. Ich habe eine Nummer dazu gebracht, die sich auch im Buch wiederfindet. Es geht um Verschwörungstheorien. Wenn einer sagt, mit Nano-Technologie würde sein Ego in die Cloud hochgeladen, wie soll ich da reagieren, als zu sagen: „Ich glaube, manche Egos werden da ein Speicherplatzproblem bekommen“. Da kann ich nur mit Humor reagieren. Wie soll ich das denn ernst nehmen?

Das Schweizer Fernsehen hat den Clip ins Netz gestellt. Wie waren die Reaktionen? Am Anfang hatte er 20 oder 30 Kommentare. Wunderbar, habe ich gedacht, die Leute schauen sich das an. Eine Woche später habe ich wieder draufgeschaut und plötzlich waren es um die 350. Meine Leute haben schon geschrieben, dass Attila Hildmann mal wieder den YouTube-Krieg ausgelöst hat. Diese Leute sind eng vernetzt und sie schreiben sich untereinander an: „Ey, da ist eine Nummer über uns auf YouTube. Scheißt sie zu!“. Dann machen sie alle den Daumen nach unten und schreiben, wie unlustig ich bin. Ist das nicht lächerlich? Glauben die wirklich, dass sie mir wehtun könnten, indem sie den Daumen senken? Menschen, die wirklich glauben, dass die Erde eine Scheibe ist? Check into reality!

Zum Buch: Michael Mittermeier: „Ich glaube, ich hatte es schon – Die Corona-Chroniken“

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