Erschütternde Odysee

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 In seiner Wahlheimat  Sachsen-Anhalt ließ Titus Simon seine Protagonisten in Kreisen der rechtsextremen Szene und der  Finanzwelt ermitteln. Das gehört vorerst der Vergangenheit an. Nun ist es eine Reise, auf die der Autor Titus Simon seine Leser in seinem aktuellen Roman "Hundsgeschrei" mitnimmt  – die Reise des Juden Jakob Winter in seine eigene Vergangenheit, in eine Zeit des Umbruchs und des Krieges. Es ist der erste Band einer geplanten Heimat-Roman-Trilogie. Dafür hat der emeritierte Professor für Soziologie an der Hochschule Magdeburg-Stendal jahrelange in Archiven recherchiert.

Einfühlsame Beschreibungen

Als Mitglied einer wohlhabenden jüdischen Familie von Fabrikbesitzern wird er ausgerechnet am Geburtstag Adolf Hitlers im Dorf Seelbach, in Baden-Württemberg, geboren. Früh erfährt er am eigenen Leibe, was es heißt in dieser Zeit als jüdischer Bürger in Deutschland zu leben, alles zu haben und alles zu verlieren.  Gehaltvoll und nachdrücklich beschreibt Simon das Schicksal des Protagonisten, der zu Beginn des Buches bereits eine Flucht vor den Nationalsozialisten sowie zahlreiche abenteuerliche Erlebnisse in Europa hinter sich hat und nun nach vielen Jahren wieder nach Seelbach zurückkehrt. Hier muss Jakob Winter feststellen, dass dieser Ort  schon lange keine Heimat mehr für ihn ist. Obwohl der Krieg längst vorbei ist, trifft er auf  Mauern des Schweigens,  Gleichgültigkeit  und Ablehnung. In Form von Begegnungen und Erinnerungen Winters lernt der Leser beinahe so viele Einwohner Seelsbachs, deren Schicksale und Reaktionen auf das Erscheinen des Protagonisten kennen, dass ihn die Komplexität der Handlung nahezu zu überfordern droht. Was der Autor dadurch aber erzeugt, ist ein hoher Grad an Empathie. So leidet der Leser genauso mit dem alten Bloch mit, der 1944 in Theresienstadt ums Leben kam, wie mit dem Dorfjungen Gustav Lang, dessen Vater ihn ständig einschüchtert und wegen seiner Freundschaft zu Jakob grün und blau schlägt.

Historie und Fiktion miteinander verwoben

Mit seinem Buch gelingt es Titus Simon den Leser zu fesseln. Als wäre er einer der Ihren geht er mit der derben, dörflichen Sprache der Region Württemberg um, spricht von „Gutsle“ (Weihnachtsplätzchen) und „abg’schlagne[n] Ripp[en]“ (Frauen, die als Verführerin und Hure agiert). Dabei  steht die Authentizität stets im Vordergrund. Simon überzeugt nicht nur mit der exakten Verwendung militärischer Begrifflichkeiten, sondern auch mit detaillierten Kenntnissen über jüdische Bräuche und Sitten sowie seiner Einbettung der fiktiven Ereignisse in exakte historische Hintergründe. Umso bedauerlicher ist es, dass der Autor sich in seinem Roman typischer Klischees dieser Zeit bedient. So nutzt er ebenso die Stereotype der reichen, jüdischen Fabrik-Besitzer wie der ungehobelten, einfältigen deutschen Dorfjungen, die allesamt der Hitlerbewegung angehören. Dennoch lässt Simon eine Welt entstehen, die weit über das Einzelschicksal der Familie Winter hinausgeht. Er erzählt die Geschichte der Juden in der Region Württemberg und spannt dabei den Bogen  von den Anfängen des 20. Jahrhunderts, über den Ersten Weltkrieg und die Zeit zwischen den Kriegen, bis hin zum Zweiten Weltkrieg und der Nachkriegszeit.

Fesselnde Unterhaltung

Bücher, die das tragische Schicksal der Juden in Deutschland während des Nationalsozialismus thematisieren, gibt es unzählige. Was Titus Simon mit „Hundsgeschrei“ allerdings vorlegt, hebt sich nicht nur durch seinen regionalen Bezug und seine Authentizität aus der Masse hervor. Dieser Roman unterhält den Leser, lässt ihn gleichzeitig aber auch voller Beklemmung zurück, regt ihn zum Nachdenken an – was sonst kann und soll ein Buch leisten.

© Silberburg Verlag

Hundsgeschrei

Rating: 4 of 5

Titus Simon

Silberburg Verlag

Historischer Roman

1. März 2013

978-3842512399

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