Unbarmherzig genau

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1930. Ein junger Franzose, aufgewachsen in der Pariser Bourgeoisie kommt nach Deutschland, um dort fünf Monate als Austauschlehrer zu verbringen. Er schreibt Tagebuch und veröffentlicht es zurück in Frankreich im Jahr 1932. Nun ist das Buch des weitestgehend unbekannten Autors Jacques Decour (1910-1942) übersetzt und neu herausgegeben worden. Der Zwanzigjährige zeichnet mit vorurteilsloser und scharfsinniger Beobachtung ein komisch-tragisches Portrait der preußischen Stadt Magdeburg und seiner Bürger am Vorabend des Untergangs. Er nennt das zuweilen essayistisch gefasste Tagebuch „Philisterburg“. Philister, das sind in Decours Verständnis Menschen ohne geistige Bedürfnisse aber vor allem die Feinde Israels. Und tatsächlich, die vorgefundenen Autoritäten, vor allem am Gymnasium, wirken auf Decour lächerlich. Der Antisemitismus hingegen ist im Magdeburg der beginnenden 30er Jahre nicht zu übersehen. „Philisterburg zeigt die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Schreiben“ so der Übersetzer Stefan Ripplinger in seinem überaus informativen Vorwort. Decour schreibe über Deutschland, wie einer, der das Land noch nicht kennt, aber doch dessen Literatur und Kultur liebt. Er bewahre sich seinen offenen Blick, berichte aber nicht einseitig. Immer wieder entwerfe er Gedanken und unterziehe sie scharfer Kritik, um sie zu verwerfen oder zu verbessern. Es ist diese Unbestechlichkeit des Zeitzeugen, die die aufziehende Gefahr in Deutschland erkennen lassen und gleichzeitig das Buch noch heute so lesenswert macht. 

© Die Andere Bibliothek

Philisterburg

Jacques Decour

Die Andere Bibliothek

Stefan Ripplinger

Historischer Roman

10. März 2014

978-3847730057

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