Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt

Sie könnten eine herkömmliche Jazzband sein, doch Posaunist Matthias Müller, Kontrabassist Matthias Bauer und Schlagzeuger Rudi Fischerlehrer grenzen sich ab. Ihre Band „Der Dritte Stand“ und das gleichnamige Album gehören zur Strömung der Echtzeitmusik, einer wachsenden Szene improvisierter Musik aus Berlin. Wer ihre Stücke zum ersten Mal hört, wird diese vielleicht nicht sofort als Musik wahrnehmen. Der Grund: Echtzeitmusik verbindet improvisierten Free Jazz mit Noise-Elementen. Dabei wird mal mehr, mal weniger auf musikalische Strukturen wie Melodie oder Rhythmus verzichtet und die Klänge der Instrumente mit Geräuschen wie Knarzen, Scheppern oder Schlägen von Holz auf Metall ergänzt. Zu Beginn erklingen aus der Posaune munter tiefe, schnelle Töne, während der Bass ein verstimmtes Zerren von sich gibt und vom Schlagzeug immer wieder zufällig anmutende Akzente eingeworfen werden. Solche strukturfreien Abschnitte erzeugen eine surreale Spannungskurve. Immer wenn sich eine Art Logik in Form von typischen Jazzpassagen aufbaut, zerfällt sie wieder. Dennoch gibt es einen roten Faden: Die Songtitel Einstand, Bestand, Zustand, Anstand, Umstand und Ausstand findet man mit ein wenig Vorstellungskraft im Interpretationsspielraum ihres Albums wieder. Auch Selbstbestimmung und künstlerische Freiheit sind in der Echtzeitmusik hohe Güter. Durch Wechsel zwischen Solo-, Duo- und Trio-Einlagen bricht die Band innere Hierarchien auf. Ihre Improvisationen sind unprätentiös, entgegen der Mainstream-Charts und der maximalen Kapitalisation von Musik. „Der dritte Stand“ ist ein Synonym für das einfache Volk. Die Nachnamen Müller, Bauer und Fischerlehrer bezeichnen allesamt alte Berufe eben dieses dritten Standes. Auch ohne Text befindet sich im Gesamtpaket aus ihrem Klang, den Titeln und dem Bandnamen etwas zutiefst politisches.

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