An die Kronjuwelen

„Am Fenster“, „Casablanca“, „Der King vom Prenzlauer Berg“ oder „Flieg ich durch die Welt“ – mit Liedern wie diesen hat die Berliner Band City nicht nur in Ostdeutschland Rockgeschichte geschrieben. Die Musiker um Sänger Toni Krahl und Gitarrist Fritz Puppel können auf ihre Glaubwürdigkeit und erstklassige Rock’n’Roll-Platten verweisen. In ihren Songs geht es oftmals um große Themen - verpackt in kleine Geschichten. In diesem Jahr feiern City ihren 50. Geburtstag mit einem letzten Studioalbum und einer Bandbiografie. Mit Frontmann Toni Krahl, 72, sprach Olaf Neumann über die Anfänge, Aufbegehren und Abschiednehmen.

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© Michael Petersohn

Herr Krahl, haben Sie Ihrem 2020 verstorbenen Schlagzeuger Klaus Selmke versprochen, anlässlich des 50. Bandgeburtstags die „letzte Runde“ einzuleiten?

Toni Krahl: Wir wollten eigentlich gemeinsam mit Klaus die Zielmarke 50 erreichen. Dieses Versprechen war für ihn als Kranken eine Art von Therapiestimulation. Wenige Tage vor seinem Tod strahlte er noch die Überzeugung aus, dass er es auch schaffen wird. Als wir ihn dann tatsächlich verabschieden mussten, haben wir uns gesagt, dass wir diese Zielmarke überschreiten und danach kein neues Kapitel aufschlagen werden.

Mit welchen Gefühle sind Sie ins Studio gegangen?

Es war keine Wehmut, die uns durch die Arbeit an den Songs getragen hat. Unser Gedanke: Was wir jetzt als Band nicht machen, machen wir nie mehr. So ist es dann zu dem üppigen Opus „Die letzte Runde“ gekommen.

„Ist noch lange hin, um auszuruhen“ und „Es gibt noch einen Plan, er hat sich nicht erledigt“ singen Sie auf dem Album. Die Rocker-Rente wartet also noch nicht auf Sie?

Momentan bin ich im Tunnel von dieser letzten Runde und denke nicht über die Zukunft nach. Es ist so viel zu tun und es kostet so viel Energie, dass ich keine Gedanken an das Danach verschwende. Aber ich weiß natürlich, dass ich dann immer noch Musiker bin. Rosen züchten wird nicht die Alternative sein. Im gleichen Song kommt übrigens auch noch die Zeile „Hab den Nachruflieferanten abbestellt“.

Das Album beginnt mit „Die Hymne“ (Come Together)". Kann Musik unabhängig von Nationalität, Glauben und Überzeugungen Menschen zusammenbringen - was Politik oftmals nicht schafft?

Wir kommen aus der Ära der Message-Musik. Das, wovon wir singen, ist unser Traum von der Welt. Die Hymne „Come Together” enthält bewusst ein Beatles-Zitat. Wir sind geprägt von den Beatles, John Lennon, Bruce Springsteen oder Bob Dylan und haben immer noch den hehren Wunsch, mit Musik die Welt zu verändern. Obwohl wir wissen, dass es nicht klappt, versuchen wir es gerade in dieser Zeit immer wieder.

Wie war es, bei der Neuaufnahme Ihres größten Hits "Am Fenster" mit den Berliner Symphonikern zusammenzuarbeiten?

Die Idee mit den Symphonikern ist an uns herangetragen worden. Daraus ist gleich eine kleine Tour entstanden. Als erstes sind wir mit dem Arrangeur an die Kronjuwelen rangegangen und haben „Am Fenster“ mit Orchester eingespielt. Damit hat der Song auch für uns etwas Neues, ein bisschen Sternenstaub bekommen.

„Am Fenster" wurde bis heute mehr als zehn Millionen Mal verkauft. Kommt das in etwa hin?

Ja. „Am Fenster" verkauft sich nach wie vor und erscheint auf den verschiedensten Kopplungen.

Welchen Anteil hat das verrätselte Gedicht der Lyrikerin Hildegard Maria Rauchfuß an diesem Erfolg?

Als Gedicht war „Am Fenster" relativ unbekannt, vielleicht kannte man es nur in Lyrikerkreisen. Durch die Musik und die Worte bleibt für jeden viel Möglichkeit, sich seine eigene inhaltliche Version zu suchen. Der musikalische Schwerpunkt liegt auf der Wiederholung der letzten Zeile „Flieg ich durch die Welt“, was so nicht im Gedicht steht. Dadurch entsteht im Geiste eine Sehnsucht nach Ferne und Weite. Zu DDR-Zeiten weckte das bei vielen Fluchtwunschgedanken.

Hat die Zensur sich daran gestoßen?

Nein, daran haben sie sich nicht gestoßen. Die haben einfach nur die Texte gelesen und sich selten auch die Musik angehört. Es ging denen immer nur um Inhalte. Für die Zensoren war „Am Fenster“ einfach nur ein schönes Liebesgedicht mit ein bisschen Schmerz dabei.

Wurden Frau Rauchfuß' Bücher in der DDR viel gelesen?

Sie war keine sehr berühmte Autorin. Mit Lyrik war es auch nicht so einfach wie mit Romanen. Aber sie hatte schon ihr Auskommen, erst recht natürlich, als ihr Gedicht plötzlich vertont war. Sie war zuerst nicht sehr glücklich mit dem Gedanken, dass eine Rockband ihr Gedicht vertont. Sie war angefasst, ob das zusammengehen sollte.

Weil Rockmusik nicht als Hochkultur angesehen wurde?

Genau. Das war noch zu Zeiten als wir alle als Gammler galten. Langhaarige wurden in der DDR nicht nur verunglimpft, sondern teilweise auch verfolgt. Es gab zum Beispiel Ausweiskontrollen und andere Schikanen.

Bei „Klarer Fall (Born in the GDR)“ erzählen Sie im Duett mit Dieter Maschine Birr (Puhdys) und Dirk Michaelis (Karussel), wie Sie den Rock'n'Roll nach Osten gebracht haben. Hat die Rockmusik es geschafft, die DDR maßgeblich zu verändern?

Der Anspruch, sich Freiheiten rauszunehmen durch Äußerlichkeiten oder Lebenseinstellungen, hat bewirkt, dass die Toleranzschwelle immer höher geschraubt wurde. Das geht ja bis heute so in der Gesellschaft. Irgendjemand schlägt über die Stränge, dann machen es mehrere und plötzlich ist es Mainstream. Die Punks fingen damals an, sich Sicherheitsnadeln in die Ohren zu stecken und Irokesenschnitte zuzulegen, und zum Schluss tat das auch jede Verkäuferin bei Rossmann. Die jungen Leute werden sich neue Provokationsfelder suchen. So lange es solch harmlose Sachen sind, ist es ja auch okay.

Sie singen: „Gegenwind hält uns in der Spur“. Wie stark war der Gegenwind für City zu DDR-Zeiten?

Es war ein starker Gegenwind nicht ohne Folgen speziell auch für mich. Aber wir hatten immer eine unglaubliche Aufmerksamkeit in der DDR nicht nur seitens des Publikums und der Fans. Tatsächlich hat sich das Politbüro mit unseren Inhalten befasst und darüber diskutiert, ob das nicht zu weit geht. Als Band war man schon von dieser Aufmerksamkeit verwöhnt, auch wenn das alles in Diskussionen, Rechtfertigungen und Anschuldigungen mündete. Wir dachten, die trauen sich nicht, uns zu verbieten. Durch unsere Popularität waren wir ein bisschen geschützt – gerade bei einem Album wie „Casablanca“, auf dem ein paar politische Unverschämtheiten zur Sprache kamen.

Und damit sind Sie auch durch die Zensur gekommen?

Der Cheflektor der Plattenfirma Amiga hatte uns im Vorfeld gewarnt, dass wir ein, zwei Zeilen ändern müssten. Die waren aber nicht werkbestimmend. Auf unserem neuen Album ist z.B. eine von Silly gespielte Version von „Susann“ drauf. Darin enthalten die Originaltextzeile „Da ging im Jahre 68 der Frühling bis in den August“. Die hat man uns damals gestrichen, so dass es am Ende hieß: „Da ging die erste große Liebe vom Frühling bis in den August“ – ohne die Jahreszahl. 68 geschah ja die Niederschlagung des Prager Frühlings. Das war von uns auch damit gemeint, aber das ging nicht durch die Zensur. Die neue Zeile war vermeintlich unpolitisch, aber nicht für das Publikum in der DDR. Bei „August“ dachten die Leute an eine versteckte Thematisierung des Mauerbaus im August 1961. Der war ja viel einschneidender für die DDR als der Prager Frühling, wo nur ein paar Intellektuelle um Wolf Biermann protestiert hatten.

Ende 1968 kamen Sie ins Gefängnis, weil Sie mit anderen vor der sowjetischen Botschaft in Ost-Berlin schweigend gegen den Einmarsch in die ČSSR protestiert hatten. Wie hoch war Ihre Haftstrafe?

Ich bin zu drei Jahren Gefängnis verurteilt worden und nach 100 Tagen und Nächten – die waren schlimmer für mich als 19-Jährigen – auf Bewährung frei gekommen. Ganz überraschend nicht nur für mich, sondern für alle jungen Straftäter unter 26, die im Zusammenhang mit dem Prager Frühling verurteilt wurden. Die Haftstrafe wurde laut Politbürobeschluss für alle in eine Bewährungsstrafe umgewandelt. Vielleicht waren wir zu viele oder sie wollten sich kein Heer von wirklichen Dissidenten an den Hals züchten. Nach dem Motto: Wenn die aus dem Knast kommen, werden die richtig böse. Man wollte uns wohl ermahnen.

Aufgrund dieser Vorstrafe hätte man Ihnen ja auch Steine in den Weg legen können. Warum ist das nicht geschehen?

Damit haben alle in unserer Band gerechnet, aber es ist nicht passiert. Ich hatte wegen Hetze gesessen, unser Schlagzeuger hatte eine Auseinandersetzung wegen Widerstand gegen die Staatsgewalt, die in einer Geldstrafe mündete. Unser Gitarrist Fritz Puppel war Sohn einer angesehenen Industriellenfamilie, die enteignet wurde. Bei all dem hätten wir nie gedacht, dass wir reisen dürfen. Aber die Devisennot in der DDR war ausschlaggebend, dass sie uns haben fahren lassen. City haben ja sehr viel Westgeld eingespielt. In unserem Vertrag stand, dass wir den größten Teil davon 1:1 in DDR-Mark zwangsumtauschen müssen.

1967 gründeten Sie mit Rainer Köchling, Frank Pfeifer und Peter Gross Ihre erste Band „Wurzel minus 4“. Wie war es zu der Zeit um die Subkultur in der DDR bestellt?

Der Kontrollzwang und -drang der Funktionäre war unermesslich. Aber es gab immer wieder irgendwo im Kleinen wie auch im Größeren – Beispiel Wolf Biermann – Freiräume, die sie noch nicht unter Kontrolle hatten. Zu Anfang wussten sie nicht, wie sie sich zum Aufkommen der Beatmusik verhalten sollten. Sie haben das nicht ernst genommen und plötzlich gemerkt, dass da in der Provinz oder am Rande von Berlin gewisse Dinge los sind, die nichts mit sozialistischem Leben zu tun haben. Und dann haben wir auch Spielverbot bekommen wegen Kleinigkeiten wie langer Haare.

Sind Sie daraufhin zum Frisör gegangen?

Wir haben uns einfach einen neuen Bandnamen ausgedacht und versucht, damit wieder irgendwo aufzutreten. Die langen Haare haben wir teilweise versteckt oder hinten zusammengebunden, wenn es brenzlig wurde. Aber kaum waren wir auf der Bühne, wurden die Haare wieder geschüttelt.

Anfang der 1970er-Jahre traten Sie bei den Gruppen „Die Kleinen“, der Hanert-Combo, den Maddogs und Suwami – später College Formation – als Sänger auf. Haben Sie in der Zeit Ihren eigenen Stil entwickelt?

Es war schon eine prägende Zeit, aber die des Nachspielens. Wir haben eine Stellvertreterfunktion wahrgenommen. Ich zum Beispiel war sehr gut im James-Brown-Nachäffen. Eigene Songs schrieb ich erst ab 1975 mit City, wo es darum ging, eine eigene Ausdrucksform zu finden. Alles, was man beim Nachspielen gelernt hat, galt es in seine eigene Kreativität umzusetzen.

1978 hatten Sie mit City Ihren ersten Auftritt in Westdeutschland. Wie war das?

Das war im Kantkino in Westberlin. Wir mussten ewig warten, bis man uns auf den letzten Drücker die Pässe ausgehändigt hatte, und dann sind wir rübergefahren. Für mich ganz erstaunlich war, dass es in Westberlin genauso aussah wie im Osten. Im Parterre, wo die Läden und der Kommerz waren, wirkte alles sehr glanzvoll und frisch gestrichen, aber da drüber sah man die gleichen zerschossenen Häuser noch vom Krieg. Und abends das Konzert erschien mir fast wie ein Klassentreffen mit vielen ehemaligen Schulkameraden, die in den Westen gegangen sind. Man fühlte sich fast wie zuhause.

„Wir bauen keine Mauern mehr, die hatten wir, ist lange her" heißt es in „Die Hymne". Putins Krieg gegen die Ukraine lässt leider befürchten, dass sich der Eiserne Vorhang wieder dauerhaft über Russland absenken könnte – Ausreisesperren eingeschlossen. Welche Gefühle löst das in Ihnen aus?

Der kalte Krieg ist direkt in einen heißen übergegangen. Wir können nur hoffen, dass sich da noch ein Funken von Vernunft, Anmut, Mühe und Verstand durchsetzt, wie es in unserer Hymne heißt. Ich hoffe, dass wieder irgendwie eine Form von Frieden gefunden werden kann. Ich habe als Jugendlicher zwei Jahre in Moskau gelebt und bin dort zur Schule gegangen. Ich konnte mal richtig gut Russisch und war auch jetzt ein paar Mal zu Besuch in Moskau. Es ist ein anderes Volk mit einer anderen Mentalität, aber es sind großartige Menschen. Aber wenn da einer durchdreht – und anders kann es es kaum noch erklären.

Haben Sie in Russland Künstlerfreunde?

Nein. Ich glaube, Putin hat noch einen relativ großen Rückhalt, größer als man zu hoffen wagt. Auch in Künstlerkreisen.

Das Gespräch führte Olaf Neumann

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Und hier gibt es das aktuelle Buch von City und hier CD's und Vinyl

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