Knorkator: "Staunen und Erschrecken - das ist ein Unterschied!"

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© Gunnar Leue

Ihr fäkal-lyrischer Arienrock lässt das Publikum entzweit zurück: die einen begeistert, die anderen entsetzt. Zwanzig Jahre ist es her, dass Knorkator erstmals in Magdeburg auf der Bühne stand – damals noch independent in der Feuerwache. Bandgründer und Sänger Gero Ivers, besser bekannt als Stumpen, über die spezielle Art von „Deutschlands meister Band der Welt“, wie sie ihren Weg im Musikbiz-Getümmel gefunden und was ihr neues Album „Ich bin der Boss“ zu bieten hat.


Wann seid ihr eigentlich das erste Mal in Magdeburg aufgetreten? Ich glaube, Knorkator spielte erstmalig 1996 in der Feuerwache, dann fast jährlich. Später in der größeren Factory. Das klingt da zwar kacke, aber es passen mehr Menschen rein.

Kollege Alf Ator nennt euch einen Haufen alter Säcke, die nur Scheiße bauen und vom Leben überfordert sind. Kannst du das voll unterschreiben? Wir haben tatsächlich im wahrsten Sinne genug Scheiße gebaut und vom Leben überfordert ist man als Selbständiger sowieso immer. Jeder denkt ja, als einigermaßen bekannter Musiker verdienst du so viel, dass du dein Leben problemlos finanzieren kannst. Is druff jeschissen! Um sich all das herbeizaubern zu können, wonach einem der Sinn steht, musst du schon in der Oberliga spielen. Knorkator sind ein Nischenthema, schon immer, und es ist nicht nur für mich ein Rätsel, warum wir so lange überleben konnten. Gott sei Dank kommen die Leute, auch eine neue heranwachsende Generation, in unsere Konzerte und das sichert uns den Lebensunterhalt.

Ihr galtet in den Neunzigern als eine Art nächstes großes Ding – etwa zu der Zeit, als es eure Kumpels von Rammstein tatsächlich wurden. Denkst du manchmal darüber nach, warum hat das bei denen geklappt und bei uns nicht? Nein. Wir waren in den Neunzigern zwar eine extrem hochdotierte Indieband, hatten den Vorschuss aber nie eingespielt, so dass Knorkator in der Branche dann eigentlich verbrannt war. Dass die Band heute noch existiert, ist insbesondere Alf Ator und seinen Ideen zu verdanken, unserem Durchhaltevermögen und nicht zuletzt der Treue aller braven Knorkator-Fans.

2008 hatte sich die Band allerdings für eine Weile komplett verabschiedet. Zum einen war ich knülle, konnte nicht mehr und zum anderen ging mir dieses Angebiedere bei der Branche auf den Sack. Es gab immer viele Versprechungen, am Ende aber haben wir mehr bezahlt, als eingenommen. So haben wir also aufgehört. Nach dem Aufhören haben wir uns wieder getroffen und unsere Erfahrungen ausgewertet und mit Aufhören aufgehört. Nach dem Neubeginn 2011 kümmerten wir uns dann um alles komplett selbst: Label, Management, Booking, Ticketing, Merchandise und wir konnten uns unabhängige Partner mit ins Boot holen, die Knorkator tatsächlich lieben, sich bemühen und nicht nur Geld kassieren wollen. Wie in einer großen Familie, wo man sich nicht verbiegen muss, miteinander lebt und liebt, sich vertraut. So kannst du auch im musikalischen Mittelstand überleben. Wichtig ist aber auch Authentizität und Kontinuität.

Du bist nicht nur der meiste Sänger von „Deutschlands meister Band der Welt“, sondern auch einer mit der meisten Gesangsausbildung. Als Kind habe ich sechs, sieben Jahre die Musikschule Köpenick besucht. Dort sollte ich anfänglich Geige und Klavier lernen, was nicht so gut lief, weil ich vom Raufen und Fußballspiel immer kaputte Finger hatte. Meine Zeugnisse waren voll mit Ungenügend. Schließlich wollte man mir noch eine letzte Chance geben: Gesang. Und da ich damals schon jeden Ton getroffen habe, wurde aus mir schließlich der einzige Junge im Mädchenchor der Musikschule. Das war schon komisch: Alle im Rock, außer ick in Hose. Aber es hat Spaß gemacht, weil der Lehrer und die Zeit toll waren. Als ich vierzehn war, fragte die Deutsche Staatsoper an und ich entschied mich für das Engagement, anstatt bis zum Abschluss an der Musikschule zu bleiben. Ein halbes Jahr lang habe ich mit meiner hohen Knabenstimme in der Oper „Tosca“ den Hirtenknaben gesungen. Das war schon toll, weil ich Gage erhielt und mir davon einen Angelkoffer kaufen konnte. Dann allerdings bekam ich meinen Stimmbruch und die Sache war vorbei.

Gehst du noch gelegentlich in die Oper? Leider nicht, dazu fehlt mir als Vater zweier geliebter Kinder die Zeit. Aber die Klassik liebe ich natürlich noch. Kein anderes Stück hat bei mir solch einen furchtbar schönen und gewaltigen Eindruck hinterlassen, wie das „Was hast Du mit meinem Herz getan?“ von Nicholas Lens, einem zeitgenössischen belgischen Komponisten (der auch schon mit Nick Cave eine Oper schuf/d.R.).

Wie erklärst du dir selbst die ex­treme Diskrepanz zwischen deinen Eskapaden als Bühnenirrer und deinem charmantem Auftreten als Alltagsbürger? Ich sehe da keine Diskrepanz, auch wenn ich auf der Bühne hin und wieder meine Sperenzien mache. Im Alltag und auf der Bühne bin ich ein und derselbe und während die einen ihre Aggressionen im Alltag rauslassen, beim Fußball oder indem sie jemandem aufs Maul boxen, habe ich Gott sei Dank die Band und benutze die Konzerte als Ventil. Klar, wenn ich so aus fünf Metern Höhe irgendwo reinspringe oder wenn ich mir mal hinterher anhöre, welchen Mumpitz ich bei einem Konzert erzähle, dann erkenne ich mich manchmal selbst nicht wieder.

Nach 1990 versuchten ja etliche jüngere Ostbands mit irgendeiner Auffälligkeit aus dem Überangebot an Rockbands herauszustechen: Rammstein etwa ersannen den rollendes-R-Industrialrock. Euer fäkal-lyrischer Arienrock war auch so ein gezielter Versuch? Alf sagte damals zu mir: Du hast doch so eine hohe Stimme, lass uns mal was probieren. Dann haben wir in seinem Schlafzimmer unseren ersten Song aufgenommen, die „Absolution“. Eine wunderschöne Komposition zu einer Aneinanderreihung von lateinisch eingefärbten Schimpfwörtern. Als seine Oma das hörte, sagte sie: „Du machst so schöne Musik!“. Da wussten wir, das könnte so funktionieren.

Wer eure Texte genau hört, merkt natürlich, dass viel mehr als Blödelei drinsteckt und sie sprachlich sehr gewitzt sind. Woher rührt dein Faible für Sprache, etwa aus der Schule? Ja, ich mag die deutsche Sprache und denke, dass mein Zuhause und die damalige Schule maßgeblich verantwortlich dafür sind. Und in der Musikschule hatte ich dann noch Gehörbildung, Ausbildung in Textgestaltung und Interpretation. Außerdem war meine Mutter Lektorin. Damals wurde außerdem auch noch darauf geachtet, dass vernünftige Sätze formuliert werden und die Grammatik sitzt. Meine Affinität für Deutsch wurde dann durch Alf Ator noch beflügelt. Alf ist für mich ja eh was Besonderes und hat entsetzlich viel dazu beigetragen, dass ich jetzt der bin, der deine Fragen beantwortet.

Eure Texte führen auch zu Missverständnissen. Für manch einen seid ihr die Brachialunterhalter mit geistlosem Humor. Knorkator benutzt Satire, Klamauk, Humor und ja, auch ein bisschen die Provokation. Dabei geht es nicht um die Provokation selbst, sondern um thematische und stilistische Vielfalt. Es ist unsere Art der Kunst. Wenn wir von Scheißen, Ficken und Fotzen singen, machen wir das nicht allein, um zu schockieren. Knorkator ist dem Staunen gewidmet. Staunen und Erschrecken, da gibt es einen großen Unterschied. Ich finde Staunen sehr gut als positive Folge von Provokation. Denk an The Who, die damit angefangen haben, ihre Instrumente zu zerdreschen, oder die angemalten Kiss, der Strumpfschwanz bei Red Hot Chili Peppers. Und auch in der Bildenden Kunst finden wir das Staunen, wenn Leute was angucken und fragen: „Oha, das kostet vier Millionen?“

Ein staunendes Publikum ist also eure größte Befriedigung? Ja, ein glückliches Publikum ist das, wofür es sich zu arbeiten lohnt. Aber auch das Lob eines Kollegen. Wenn Popstars nach unserer Show hinter die Bühne geschlichen kommen und uns die Hand geben, sich bedanken und uns gratulieren ... das fetzt!

Im neuen Song „Setz dich hin“ übt ihr auch unverhohlenem Sarkasmus, Zitat: „Halt den Mund, ich mach es dir bunt, friss dich satt, fühl dich frei!“ Seid ihr desillusioniert von der Masse, die sich der Ablenkungsindustrie hingibt, von der ihr ja selbst ein kleiner Teil seid? Ich glaube, dass Alf sich bei „Setz Dich hin“ vom Buch „Die Psychologie der Massen“ von Gustave Le Bon (erschienen 1895/d.R.) inspiriert wurde. Wir haben etliche Stunden über das Buch diskutiert und über die darin aufgeworfene These, dass jeder Mensch für sich allein klug und kultiviert ist, aber in der Masse dumm, unkoordiniert und anders auftritt. Es kann gut sein, dass der eine oder andere überhaupt nicht versteht, um was es hier eigentlich geht, was wir eigentlich wollen. Das ist dann auch okay.

Noch eine Frage zur alten Idee eines „Huratoriums“, bei dem Prostituierte Knorkator-Hits singen, begleitet vom Filmorchester Babelsberg. Kommt das noch? Ich erinnere mich, da war mal was mit dem Verband der Huren „Hydra“ für Berlin oder Hamburg geplant, aber ergab sich dann doch nicht. Trotzdem sind wir für außergewöhnliche Projekte offen. 2005 hatten wir schon mal das Vergnügen, mit unserem Kontrastprogramm bei den Leipziger Bach-Festspielen mitzumachen. Bach hat mit seinem Werk Alf sehr beeinflusst und zu zahllosen Knorkator-Songs inspiriert.

Zur Veranstaltung: Knorkator, 5. November, Factory

© Andreas Lander

Factory

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