Milliarden: „Punk ist kein Politikum mehr“

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© Peter Kaaden

Milliarden aus Berlin werden mit ihrem angerauten, punkigen und gern auch melancholischem Ruck-Zuck-Rock nicht nur regelmäßig in eine Traditionslinie mit Rio Reiser gesetzt, sondern auch zu den Favoriten der Saison im deutschsprachigen Musikwesen gezählt. Auf ihrem Debüt „Betrüger“ tun das Sänger und Gitarrist Ben Hartmann und Klaviermann Johannes Aue zur Genüge. Ein Gespräch mit Ben.


Euer Song „Freiheit is ne Hure“ gehörte zum Soundtrack des Kinofilms „Tod den Hippies, es lebe der Punk“. Bela B. von „Die Ärzte“ hat jüngst gesagt, Punk sei längst eine Plattitüde. Für euch nicht? Ich glaube, die Evolution von Punk ist soweit voran geschritten, dass die Punks von damals heute eben sagen: Es gibt keinen Punk mehr. Das stimmt insofern, als die frühen Punks eine genaue Vorstellung hatten, wogegen sie Widerstand leisteten. Bis in die Achtziger und Neunziger gab es ein klares Feindbild für sie, heutzutage löst sich das in vielen Bereichen einfach auf. Punk ist kein Politikum mehr. Du musst nicht unbedingt einen Iro auf dem Kopf und eine Lederjacke an haben, um zu demonstrieren, dass du dich dem Mainstream verweigerst. Punk ist in Musik und Fashion selbst ein Mainstreamcode geworden. Er wird dort von einer Maschinerie mit dem alleinigen Ziel des Geldverdienens genutzt. Es gibt also noch eine Menge Leute, die sich punkig verhalten oder Punkmusik machen, aber oft ist es tatsächlich mehr Plattitüde. In dem Punkt verstehe ich, was Bela B. meint.

Andererseits hat er – sinngemäß - auch gesagt, Punk ist vor allem eine Einstellung und die kann jeder heute noch in sich tragen. Tragt ihr sie in euch? Es ist schon so, dass wir uns in irgendeiner Form politisieren und widerständig gegenüber dem System verhalten wollen, auf der anderen Seite merken wir immer wieder, dass wir nicht außerhalb des Systems stehen. Wir suchen deshalb nach einer Lücke im System, die uns Freiraum lässt, um uns möglichst wenig einzuordnen.

© Peter Kaaden

Ist es anstrengend nach einer zeitgemäßen Form des Widerstandes zu suchen? Ich glaube, dass wir gar nicht so sehr auf der Suche danach sind. Jedenfalls bin ich nicht auf der Suche, wie ich den politischsten Text mit möglichst viel Anti formuliere. Ich versuche auf die Themen in mir zu gucken und da sehe ich, dass es da auch genug Gegensätze gibt. Widersprüche sind genauso in unserem eigenen Leben drin – zwischen dem was ich bin und will und dem, was ich mache. Ich bin zum Beispiel bei einem Majorlabel. Aber für mich ist das kein Beleg mehr dafür, ob man Punk ist oder nicht Punk. Labels sind eine Vertriebsform.

Ihr gehört zu den hoffnungsvollsten deutschen Newcomern, wie euch renommierte Kreise mit der Nominierung beim Preis für Popkultur, eine Art ernstzunehmender Echo, bestätigten. Wie wichtig ist solche Anerkennung? Die Nominierung war natürlich eine Ehre, weil das kein Verkaufspreis ist, sondern ihn Leuten aus der Branche vergeben, die sich intensiv und ernsthaft mit Musik beschäftigen. Trotzdem zählen für uns als Band die Leute, die zum Konzert kommen. Mit denen reden wir auch, um zu erfahren, wer sie sind, wie sie drauf sind und wie sich unsere Musik für sie anfühlt. Das ist letztlich das einzig Zählbare für uns. Alles andere sind Spielarten der Mediengesellschaft, von denen wir uns nicht beeindrucken lassen.

War es beeindruckend, im Vorprogramm der Politrocklegende Ton Steine Scherben zu spielen? Es war insofern nett, als wir so Lanrue (Gitarrist und zusammen mit Rio Reiser Bandgründer/d.R.) kennengelernt haben und uns gut verstanden. Wir durften sozusagen live in eine Musikerbiografie reingucken. Die Konzerte selbst hatten einen extrem hohen Nostalgiefaktor. Im Publikum waren viele Leute, die sich nach klaren politischen Aussagen und politischem Aufbruch sehnten. Das ist einerseits sehr nostalgisch, da die Scherben-Texte aus einer Zeit stammen, wo es einfacher war, den Gegner auszumachen und Widerstand zu leisten. Heute ist der Kapitalismus in einem schwammigeren System verankert. Der Feind ist dadurch schwer zu verorten und lauert oft in dir selbst. Das machte die Konzerte für uns zu einer merkwürdigen Erfahrung, weil Schlachtrufe besungen wurden, die für eine andere Zeit galten, die nur bedingt mit heute zu vergleichen ist.

Du schreibst für die Milliarden-Songs, die du mit Johannes komponierst, die Texte. Wie wichtig ist dir, dass das Publikum deine Gedankenwelt versteht? Ich würde nie wagen zu sagen, was da zu verstehen ist. Ich bin schon glücklich, wenn die Leute in meinen Texten etwas für sich entdecken. Klar, manche wollen immer gern wissen, was ist die Quintessenz meiner Texte, aber darauf gebe ich keine Antwort. Ich kann nur sagen, was ich fühle. Entweder taucht man in meine Gedanken mit ein oder nicht.

Der vor zwanzig Jahren gestorbenen Scherben-Sänger Rio Reiser wurde und wird nicht nur für seine einzigartigen Songtexte gefeiert, er wurde zu Lebzeiten auch von ignoranten Fans angefeindet, als er sich als Solokünstler dem breiten Publikum zuwendete. Wie steht ihr zur Problematik:Progressiv und anspruchsvoll, klar, aber gern auch reich und berühmt? Als Künstler erlebst du ja häufig Momente, wo du nichts hast, nicht mal Optionen. Dann muss man sich immer wieder besinnen, nicht durchzudrehen. Mich begleitet seit Jahren ein Satz, den ich mir gemerkt habe: Geld ist ein Abfallprodukt von Arbeit und wenn du gern arbeitest und deine Arbeit liebst, kommt alles andere. Ich bin total glücklich, als Musiker leben zu können. Dahinter steht alles andere zurück.

Ich habe gehört, dass bei jedem Gig jemand aus eurer Band einen kleinen Vortrag über den Konzertort halten muss. Wer hat Magdeburg gelost? Diesmal ist unser Schlagzeuger Sindan dran. Ich hoffe er bereitet sich gut vor. Bin auch gespannt, was er erzählen wird. Ich wusste ja nicht mal, was du vorhin erzählt hast, dass Tokio Hotel von hier kommen.

Zur Veranstaltung: Milliarden, 19. April

© Andreas Lander

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