Zwischen Punkrockvergangenheit und Popsound: Kettcar

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© Andreas Hornoff

Nach mehr als fünf Jahren, in denen man die Hanseaten schrecklich vermisst hat und befürchten musste, dass Kettcar ganz still und leise den Weg allen Irdischen gegangen sein könnten, sind die Hamburger mit ihrem fünften Album „Ich vs. Wir“ zurückgekehrt. Erst recht nicht still und auch nicht leise. Und sie haben noch immer etwas zu sagen. Was mussten sich Kettcar nicht unlängst an Häme und medialer Dresche gefallen lassen. Für die einen gelten sie als „gutes Gewissen der Ein­mischmusik“. Es fehle angeblich an Strahlkraft über ein paar „Schulterklopfer der Weggefährten und bereits Bekehrten“ hinaus. Die Spex gar verreißt so geschwurbelt eloquent wie ignorant und zynisch, direkt aus der Soziologenhölle, spricht von „humanitätsduselndem Betroffenheitspop, so gut gemeint wie ästhetisch unerträglich“, von „nationalelfkabinenkompatiblem Uptemporock“. Es ist kein Ding, man kann Herrn Wiebuschs Texte kitschig und pathetisch finden, die Musik zu radiotauglich. Geschenkt. Geschmäcker sind nun einmal verschieden, dieser Kritikstil jedoch ist so selbstverliebt wie wohlfeil. Und es ist billig. Da mag man es mit Kettcar selber halten: „Irgendjemand sagt Gutmensch, und du entsicherst den Revolver“. Wiebusch trifft noch immer Hirn und Herz, ohne Eindeutigkeiten, Gemeinplätze oder den moralischen Holzhammer. Und wenn er heute sagt, dass Menschlichkeit nicht verhandelbar sei oder er beschreibt, wie individueller Egoismus aus der Angst heraus in mangelnder Empathie gipfelt, dann ist das eben nicht Geschmackssache. Heute genauso wenig wie früher. Wiebusch stellt Fragen ins Zentrum, die nach der Solidarität etwa oder wo denn die Leute sind, mit denen man noch zu tun haben wolle, mit denen man etwas in dieser Gesellschaft hinkriegt oder von Leuten erzählt, die „Wir sind das Volk“ rufen, aber eigentlich „Ich bin das Volk“ meinen. Wiebusch weiß das nun einmal großartig plastisch und emotional aufzuarbeiten. Die Band schafft den Spagat zwischen Punk­rockvergangenheit und Popsound. Ersteren tragen sie immer noch im Herzen und auf der Zunge. Kraftvoll ist es, entspannt ist hier gar nichts. Wenn Kettcar 2017 Konsens sein sollen, dann darf man sich den sehr gern gefallen lassen. Völlig egal, ob man nun jung oder alt ist. Hier kommt niemand zu kurz. 

Zu Veranstaltung: Kettcar, 30. Januar

© privat

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