Marcel Brell: Das Leben voll im Blick

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© Caroline Wimmer

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Heutzutage läuft es anders. So tourte der 32-jährige Marcel Brell seit fast vier Jahren und erspielte sich mit seinen gefühlvollen Songtexten und der samtigen Stimme schon unzählige Fans bevor 2014 sein Debüt erscheint. „Alles gut solang man tut“ enthält intensive Stücke über das Leben und die Entwicklung eines Produzenten, der lange nicht wusste, dass er eigentlich auf die Bühne gehört. Auch Sängerin Alin Coen singt darauf mit Brell im Duett und holte ihn sich als Toursupport. Die Weichen sind gestellt - Brell wird ganz kitschfrei, mit der nötigen Hingabe zur Welt und schönen Formulierungen sowie seiner besonderen Persönlichkeit das nächste große Ding!

Du bist erfolgreicher Produzent. Hast du gerade jetzt den Wechsel zum Musiker gewagt, weil deutsche Singer/Songwriter so gut ankommen?

Ich wollte das jahrelang machen, hab mich aber nie so wirklich getraut, den Wunsch umzusetzen. Ich hatte als Produzent in Berlin immer viel zu tun und hatte Angst in diese Unsicherheit reinzugehen, aber eigene Musik zu machen, war immer mein größter Wunsch im Leben.

Clueso, Bosse oder Tom Lüneburger sind sehr erfolgreich und füllen große Hallen. Sind das deine musikalischen Vorbilder und erhoffst du dir auch so Karriere zu machen?

Ich find das gut, was die machen und respektiere es sehr, aber sie sind kein Vorbild. Ich strebe für meine Musik an, dass ich weiter soviel Spaß hab, vor allem auf Tour. Ob das ganze größer wird und wächst, liegt nicht so sehr in meiner Hand.

Du konntest deine Songs vorher schon am Publikum austesten. Normalerweise ist es andersherum. Ist man entspannter beim Aufnehmen?

Ja, du bringst es genau auf den Punkt. Viele Leute gehen ins Studio, erarbeiten den Sound und frickeln herum. Und ich hab sogar 3-4 Touren gespielt und war dadurch einfach sicher, in dem, was ich wollte. Ob das dann angenommen wird, ist noch eine andere Frage.

Warum das Album in Eigenregie, konntest du keinem anderen Produzenten als dir selbst vertrauen?

Ich hab jahrelang als Auftragsproduzent gearbeitet und jetzt wollte ich ganz explizit mein eigenes Ding umsetzen. Ich hab das Album allerdings extern mischen lassen.

Angefangen hast du mit englischer Musik, warum dann deutsch?

Ich hab angefangen Lieder zu schreiben, aus so einem Gestus heraus, weil man als Teenager Bock, hat Rockstar zu sein. Man schreibt so generische Lines wie „the grass is so green“, weil es so gut klingt und es die Brocken sind, die man bei englischen Liedern aufschnappt. Englisch war ein guter Transporter für die Lust, Musik zu machen. Etwas später hab ich mir erst über den Inhalt Gedanken gemacht.

Deine Platte hat die Botschaft, dass man sich frei machen muss und nicht zuviel grübeln soll. Wie macht man sich aktuell bei den vorherrschenden Kriegen, Ebola und Armut frei?

Es geht nicht ums meditative Freimachen: „ich bin nur Energie und nichts berührt mich“. Es geht darum, ehrlich zu sein. Das Leben zu betrachten, zu evaluieren und zu schauen, ob man noch was optimieren kann. Ich hab jahrelang was gemacht, was zwar cool war, aber im Grunde wusste ich, eigentlich möchte ich was anderes machen. Die Frage nach den Kriegen ist auch nicht mit Popmusik zu beantworten! Wenns darum geht, politisch was zu bewirken, müsst ich eine Organisation gründen.

Du hast geäußert „Grübeln zerstört mehr, als Fehler zu machen“. Was hilft dir dabei, wenn du zuviel grübelst?

Sport ist voll mein Mittel um klarzukommen. Dann mach ich stupide Dinge, spüre meinen Körper und bin sehr bei mir.

Du meintest auch, das Album wäre deine Lebensgeschichte und hat 10 Jahre gedauert. Bist du jetzt angekommen oder gilt „der Weg ist das Ziel“?

Ich versuche, ein Lebensziel zu etablieren, wo der Weg das Ziel ist. Ich bin sehr ergebnisorientiert, aber natürlich ist es Unfug mit 32 zu sagen, man wäre am Ziel. Man könnte sagen, ich befinde mich auf der richtigen Route.

In „Nur den Augenblick“ besingst du die Wertschätzung für den Moment. Du bist erst 32, wann kam diese Erkenntnis bei dir?

Das kam als greifbar wurde, dass ich mein Studio zu mache. Es war ein Prozess, und ich hab gedacht, worauf wartest du noch, vielleicht wirst du morgen vom Auto überfahren. Ich hab ja auch chartrelevante Sachen produziert und war erfolgreich. Am Ende wurde mir klar, dass es nicht darauf ankommt, was ich als Produzent erreicht habe, sondern ich einfach in der Kneipe den Leuten meine Lieder vorspielen wollte.

Hast du manchmal Bedenken, dass zuviel Brell in den Songs steckt?

Nö. Man muss unterscheiden zwischen persönlich und privat. Ich würd nicht drüber schreiben, welche Farbe meine Unterhose hat, das ist privat. Persönlich zu werden ist aber essentiell, um Leute zu berühren. Wenn sie von dir persönlich nichts spüren, ist die Frage, was der Mehrwert deiner Musik ist. Sonst kannst du ja auch nur Floskeln aneinanderreihen und versuchen, die geilste Frisur zu haben. Am Ende des Tages kommt es auf den Inhalt an. Bei Künstlern, die mich interessieren, hat der Inhalt viel mit der Persönlichkeit zu tun.

Wen hörst du privat?

Ich höre viel Klassisches, z.B. Julia Fischer. Was Pop angeht, mag ich das Album von Marteria oder Clueso. Casper find ich auch geil.

Das größte Kompliment, das man dir bisher gemacht hat?

Wenn man ein Album macht, ist man stolz, gute Rezensionen zu bekommen. Irgendeine Zeitung hat mal geschrieben, dass mein Album ohne Kitsch auskommt. Mit dem Thema „Kitsch“ beschäftige ich mich auch im Rahmen meiner Dozenten-Tätigkeit an einer Celler Schule. Das läuft über die GEMA-Stiftung. Ich versuche, Kitsch außen vorzulassen. Man kommt ja leicht auf die Schiene. Ich bin immer auf der Suche nach neuen Formulierungen.

Es gibt eben viele gute Songwriter. Ist es nicht schwierig, stets neue, treffende Worte zu finden?

Da hast du recht, aber es gibt ja nur einen Marteria, Clueso und Marcel Brell. Es ist die Pflicht eines jeden Künstlers tief zu graben und sich zu hinterfragen, ruhe ich mich auf Allgemeinplätzen aus, nur weil es gut klingt oder empfinde ich das wirklich. Die Gefahr brennt bei mir nicht so, weil es mich nur einmal gibt. Es ist meine Aufgabe, meine Perspektive auf die Welt den Leuten nahe zu bringen.

Du singst „du bist groß darin, das Entscheiden zu vermeiden“. Siehst du dich auch als Teil der „Generation Maybe“?

Ja schon, weil ich in den 80ern geboren bin. Ich lebe in Berlin. Als ich vor zehn Jahren ankam, habe ich rumgedaddelt und versucht, privat und beruflich Anschluss zu bekommen. Ich hatte verschiedene Projekte, hing mit zwielichtigen Personen rum, dass ist wahrscheinlich klassisch für die Generation. Aber mir ist klar geworden, dass man an gewissen Stellen die Schraube ansetzen und festziehen muss. Man muss sich entscheiden. Ein gutes Buch zu dem Thema ist auch Sven Hillenkamps Buch „Das Ende der Liebe“. Er behauptet, dass das Zeitalter vorbei wäre, wo überhaupt geliebt wird, weil die ständigen Optionen durch Partnerbörsen & Co. einen unfähig zur Liebe machen.

Stimmt das denn?

Ich bin sehr romantisch veranlagt und glaube daran, dass Liebe möglich und nötig ist, den eigenen Herzensladen und die Welt zusammenzuhalten. Es scheint immer so, dass Geld alles zusammenhält, aber das stimmt nicht. Klingt naiv, aber daran glaube ich.

Du hast ja dein eigenes Label. Würdest du zu einem größeren wechseln?

Ich bin zu allen Gesprächen bereit, aber es geht darum, mir erstmal ein Publikum zu erspielen. Eine größere Plattenfirma würde erst viel Geld in mich stecken, wenn sie sieht, dass es eine Entsprechung bei den Verkaufszahlen und Konzertbesuchern gibt. Das ist kein Mythos, das hab ich jahrelang mitbekommen, bei den Großen findet sowas mehr oder weniger in Exceltabellen statt und ist gar nicht so aufregend.     

Marcel Brell, 10. Oktober, 20 Uhr, Volksbad Buckau Magdeburg

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