Xavier Naidoo: „Für das Wir-Gefühl brauchen wir keine WM“

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© Alexander Laljak

© Thommy Mardo

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12 Jahre mischt er mit seinen Soulnummern ganz oben in der deutschen Musikszene mit. Als 2006 sein Song „Dieser Weg“ zum WM-Mannschaftssong wurde, war auch der letzte Deutsche im Xavier Naidoo-Fieber. 2008 machte er durch sein MTV Unplugged-Konzert mit den Söhnen Mannheims „Wettsingen in Schwetzingen“ von sich reden, bevor er Ende 2009 drei CDs voller vielschichtiger neuer Songs in Form seines vierten Albums „Alles kann besser werden“ vorlegte. Im Interview berichtet der 38jährige Mannheimer, wie er 2006 mit dem Hype um seine Person umzugehen lernte und prophezeit uns düstere Zeiten mit positivem Wandel und neuem Wir-Gefühl.

Xavier, du machst den Menschen durch Songs wie „Alles kann besser werden“ oder „Halte durch“ täglich Mut. Wie überwindest du selbst deine Tiefpunkte?

Ich sage mir dann, dass Schmerzzeiten notwendig sind, um sich auf die nächste Stufe des Lebens vorzubereiten. Im Großen und Ganzen kann man für diese Erfahrungen dann dankbar sein, weil man seinen Horizont erweitert hat.  

Klingt so einfach. Du redest mit dir selbst und wartest ab.

Nein, ich schreib‘ ein Lied. Ich hab‘ in den schlimmsten Momenten meines Lebens oft tolle Lieder geschenkt bekommen. In solchen Momenten ist man natürlich auch mal am Verzweifeln, ja, aber ich bin dazu übergegangen, sie intensiv zu erleben und genauso wie man in die Freude gerne reingeht, geh ich halt auch in den Schmerz und die Verzweiflung mit offenen Augen und Ohren rein.

Bei den Texten bist du aggressiver geworden. So greifst du im Song „Verschieden“ (B-Seite der Single „Ich brauche dich“) scharf die Politiker an. Hat mal jemand darauf reagiert?

Nein, die gehen gar nicht drauf ein, weil sie Angst haben. Motto: Warum sollen wir jetzt ein Fass aufmachen und uns dazu äußern? Also lieber ignorieren. Augen zu und durch wie immer!  

Ensprechend haben bei dir „CDU, SPD ausgedient.“ Ganz schön forsch! Eine Lösung hast du aber nicht anzubieten.

Doch! Diese Regierung gehört abgeschafft! Ich würd’ sagen, macht eine Räterepublik. Was willst du dich von Berlin aus regieren lassen, die haben doch keine Ahnung von dem, was die ernsten Probleme eines Bauers in den Alpen oder von mir aus in der Börde sind. Es geht immer nur darum, wer hat die meisten Mittel und die größten Möglichkeiten und wer ist am skrupellosesten. Die deutschen Medien sind auch noch nicht bereit, die Wahrheit zu schreiben, weil sie in vielen Sachen gleichgeschaltet sind. Ich meine, wo sind denn die wahren Bilder von z.B. dieser Ölkatastrophe? Wo sind die sterbenden Delphine, die die Feuersäulen angucken und denken, was passiert hier?

Glaubst du, dass diesen Zustand zu ändern möglich ist?

Irgendwann werden einfach alle wach werden. Es wird kein Blutvergießen geben, weil wir alle intelligent genug sind, dass so was nicht passieren wird. Und man sieht es ja an diesen Volksentscheiden, wie schnell es passieren kann, dass Leute aus ihren Positionen rausgeklagt werden, wenn mal ein paar Sachen bekannt werden. Unsere Währungen sind auch alle zum Scheitern verurteilt. Das wird uns um die Ohren fliegen und unsere Kinder haben dann, Gott sei Dank, das Geldding nicht mehr.

Kein Geld mehr? Das hast du vor zehn Jahren im Interview mal prophezeit: „Ich denke, dass uns viele Sachen wegbrechen werden: das Geld, Inflation, Börsencrash.“ Manches ist eingetreten, was erwartet uns also als Nächstes?

Willstes wirklich wissen? Ich will mal ganz ehrlich sein, ich glaube, uns erwartet ein Überfallszenario. Allein was in Europa so abgeht. Man guckt auf sein Land und denkt, guck mal dieses Volk was sich da selbst umbringt siehe Jugoslawien. Diese ganzen Sachen werden dazu führen, dass die Leute und die Länder, in denen wir leben in Europa, sich ganz stark verändern werden, wie es sich kein Politiker vorstellen kann, aber wie es sich jeder Bürger nur wünschen kann. Wir sind alle intelligent und mitfühlend genug, um uns durch diese Zeiten zu bringen. Wir brauchen dann keine Fußballweltmeisterschaft, um ein Wir-Gefühl zu haben. Wir brauchen uns wieder und das ist toll, ich freu mich auf diese Zeit.  

Früher hast du keine Auszeichnungen angenommen, dir war der damit verbundene Ruhm unangenehm. Das hat sich offenbar geändert?

Weil ich damit besser umgehen kann. 2006 war himmelhochjauchzend auf der einen Seite und zu Tode betrübt auf der anderen. Ich merkte, dass ich es acht Jahre geschafft hab‘, in Mannheim zu leben und gewöhnliche Dinge zu machen wie einzukaufen oder zu tanken. Und dann war es plötzlich vorbei, weil jeder glaubte dann durch die WM eine persönliche Beziehung zu mir zu haben. Dann kam noch die BILD-Zeitung und ihre unsägliche Aktion mit diesen Leserreportern. Zu der Zeit hatte ich keinen Führerschein, da bin ich mit dem Fahrrad gefahren und war vor keinem Fotohandy mehr sicher! Ich hatte meine Anonymität in Deutschland komplett verloren. Mein Gott, ich musste wirklich aus Mannheim wegziehen – eine furchtbare Entscheidung war das! Ich bin für 10 Monate nach Paris geflogen.  

Aber du lebst jetzt wieder in Mannheim.

Ich habe mir das alles wieder zurückerkämpft.

Jetzt ist es in Mannheim etwas besser. Manches ist immer noch hart, auch der Gang über diese roten Teppiche, aber ich bin ja auch älter geworden und so wie 2006 wird es nicht mehr sein.  

Du bist nicht nur Gesellschafter der Mannheimer Popakademie, sondern auch Gastdozent. Was lernt man von dir?

Man lernt, dass man unter Druck auch gut arbeiten kann und dass man nicht unbedingt vier Wochen für einen Text Zeit braucht, sondern auch mal vier Stunden. Und dass man gerne auch mal durchklingen lassen kann, aus welcher Region Deutschlands man herkommt. Es sind all diese Sachen, die dir eine gewisse Identität geben und ein gewisses Unterscheidungsmerkmal hervorrufen. Theorie kann ich wenig vermitteln. Die Studenten bekommen meist Instrumentals, die kurz vor der Veröffentlichung stehen, schreiben eigene Songs und Texte da drauf und wenn sie fertig sind, dann zeig ich ihnen, was ich daraus gemacht hab.

Du warst das letzte Mal solo 2006 in Magdeburg. Hast du irgendwelche Erinnerungen?

Ich erinnere mich gut an die Stadt. Ich bin erst vor ein paar Monaten von Berlin nach Magdeburg die ganze Strecke über Land gefahren und find mich dort gut zurecht. Was ich noch nicht so erforscht hab‘ ist das Elbgebiet, das werde ich wohl dieses Mal mit dem Fahrrad erkunden.

Xavier Naidoo, 31. August, 19.45 Uhr, Domplatz

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