Chinesischer Weg

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Google Maps ist heute, was Opi Fritze früher Urlaub mit dem Finger auf der Landkarte nannte, wenn er mir alle Länder, Gebirge, Flüsse und Hauptstädte der Welt zeigte. Er kannte sie alle, obwohl er nie hin durfte. Es blutet mir heute noch das Herz, wenn ich daran denke, dass ihn die einzige Auslandsreise seines Lebens mit dem Pferd nach Russland führte und er die Souvenirs, die er mitbrachte – zwei Granatsplitter in Rücken und Bein – mit seinem rechten Arm bezahlen musste. Opi hätte Google geliebt und so zog es mich automatisch dahin, wo ich großgeworden bin. Die Satellitenbilder sind inzwischen erstaunlich hochauflösend. Wow – unser Nussbaum ist der größte Baum der ganzen Gegend. Aber was ist das? Der Gartenweg! Ist das tatsächlich ...? Damals, als ich etwa 16 war, meinte Peti (der Typ unserer Mutter) immer „Nimm dir mal morgen Nachmittag nichts vor“. Ohne Zielvorgabe, ohne Zeitangabe. Ich hasste ihn dafür. Ich musste dann wieder den Gartenweg betonieren. Allein. Feld für Feld, Wochenende für Wochenende. Schön Rahmen bauen, Kies rein, Beton mit der Schippe anmischen, verteilen, abziehen. Natürlich wollte ich fertigwerden. Da Kies schippen schneller geht als Betonmischen, machte ich viel Kies drunter und nur eine hauchzarte Betondecke drüber. So war das Elend bald vorbei. Klar waren nach wenigen Monaten schon erste Risse zu sehen und ein paar Jahre später glich der Weg Packeis nach der Durchfahrt des Eisbrechers. Doch erst zog Peti aus (jippie) und später wir alle. Das ist gut 30 Jahre her und nachdem mir der Weg lange Zeit peinlich war, bin ich heute eher stolz auf ihn: Früher hieß es ja, dass die Chinesische Mauer das einzige mensch­gemachte Bauwerk sei, dass aus dem All zu sehen ist. Doch nun sieht man auch meinen Gartenweg auf dem Satellitenbild – also ebenfalls aus dem All. Die Welt wird sich an mich erinnern. Danke, Peti!

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