Ins Waschbecken schnaubende Männer

by

Morgendliches Zähneputzen ist für mich wie Yoga. Körperspannung und absolutes In-sich-gekehrt-sein. Vornübergebeugt den Blick auf jenen zentralen Punkt des Waschbeckens gerichtet, der die Gedanken bündelt und sie in unendliche Weiten auf Reisen schickt – den Abfluss. Bei mir zu Hause ist er verchromt, gelöchert und immer blitzeblank. Die Reise ins Unendliche gelingt aber nur bei laufendem Wasser. Nur so entstehen die hypnotischen Kräfte der Wasserverwirbelungen an den Löchern des Abflusses. Als Kind vermutete ich dahinter Frösche, die

immer wieder versuchten mit ihren Glubschaugen durch diese kleinen

Löcher auf die andere Seite ihrer Welt zu blicken, also auf mich. Kein anderer Moment stimmt mich mehr auf den Tag ein und wappnet mich für dann kommende Herausforderungen. Das funktioniert prinzipiell überall, auch auf Campingplätzen.

Aber schon mein erstes Zähneputzen im gemeinschaftlichen Waschraum belehrte mich eines Besseren. Das mittlere von drei Waschbecken erfüllte mit einem halbwegs blitzeblanken Chromabfluss die Voraussetzung für meine allmorgendliche Gedankenreise. Ich war schon sehr weit eingedrungen. Das Wasser plätscherte wohlig und die Verwirbelungen sogen mich durch die kleine Öffnung ins große Unbekannte. Weich und sanft flutschte ich durch Windungen wie Jimmy Glitschi, der Mann ohne Knochen. Frei von jeder Entscheidung ließ ich es einfach geschehen. Jahrelang endete die Reise immer am hellen Horizont in einer befreienden Weite.

Da schnäuzten aber keine Männer ihren ganzen Nachtrotz ins Nachbarwaschbecken! Was für ein Trompetengetöse mit schmatzendem Abgang. Absolut widerlich! Meine Reise ins himmelblaue Kanalparadies endete in einer unerträglichen Unausgeglichenheit für den Rest des Tages. Warum nur, fragte ich mich, schnauben Männer ins Waschbecken? Haben sie keine Taschentücher? Markieren sie vielleicht ihre Reviere? Das ist mein Waschbecken, hier wasche ich mich – nur ich!

Ich googelte „ins Waschbecken schnaubende Männer“ und eine Welt brach zusammen. Was ich da las, lässt mich nicht mehr an die gute Sache Mann glauben. Auf gutefrage.net, gofemenin.de und Co. fragen sich doch tatsächlich Frauen, nicht ohne auf Details zu verzichten: Warum pinkeln Männer gerne ins Waschbecken? Was es nicht alles gibt! Ich werde mir bestimmt keine Zähne im Frauenwaschraum putzen! Oder gibt‘s etwa auch in Männerwaschräumen Männer, die gerne ins Waschbecken...?  (oledesillusioniert)

Back to topbutton