Alles vorprogrammiert?

Jan Friedrich lässt Georg Büchners Woyzeck als Video gamer die eigenen Handlungsspielräume erproben.

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© Kerstin Schomburg

Georg Büchners „Woyzeck“ ist das Paradebeispiel für ein „offenes Drama“: unvollendet, in mehreren Entwürfen mit unterschiedlichen Szenenabfolgen vorliegend. Ein Puzzle, dessen Zusammensetzung große Freiheiten lässt. Zunächst jedenfalls – denn letztendlich läuft, egal wie man die Bausteine kombiniert, doch alles auf Woyzecks Mord an seiner Partnerin Marie hinaus. Ein Mord, dessen Motive die meisten Interpretationen in Schule und Wissenschaft umkreisen. War es die Erniedrigung, die er als Mitglied der untersten Gesellschaftsschicht erfährt? Die fragwürdigen Experimente eines sogenannten Doktors, denen er sich aus Geldnot hingibt? Maries Flirt mit einem Tambourmajor? Gar eine Kombination aus alldem? Büchners Antwort hätte vermutlich gelautet: Die Verhältnisse haben Woyzeck zum Mord gezwungen. Nichts zu machen. Vorherbestimmt.

Regisseur Jan Friedrich, der das Stück – natürlich neu zusammengepuzzelt – in Magdeburg auf die Bühne bringt, kennt diese scheinbare Fremdbestimmtheit: „In meiner Heimatstadt Eisleben war es beinahe Gesetz: Nach dem Abi bliebst du und machtest eine Ausbildung.“ Nichts zu machen. Vorherbestimmt. Friedrich, der zum Studium der Puppenspielkunst nach Berlin ging, war das nicht genug. Ebenso wenig wie Woyzecks Motive: „Die Wahrheit ist: Der Mord ist unbegründet. Nicht Woyzecks Wahnvorstellungen, nicht seine prekäre Lage, nicht die Eifersucht können ihn begründen.“ Mord ist und bleibt eine Grenzüberschreitung. Friedrich versetzt Woyzecks Geschichte in ein heutiges Medium, das regelmäßig zu Grenzüberschreitungen einlädt: das Videospiel, „ein über alle sozialen Schichten hinweg breitgenutztes Medium und längst eine eigene Kulturform“.

Die Zuschauer erleben das Drama aus dem 19. Jahrhundert als eine Art Twitch Stream, schauen also einem Videogamer, Woyzeck, über die Schulter. Ausgestattet mit Controllern und Live-Cam versucht dieser, seine persönliche Quest – „Bring deine Familie durch!“ – zu erfüllen. Sechs weitere Darsteller spielen die Figuren, denen Woyzeck im Game begegnet. Die Personage des Stückes hat Friedrich erweitert und mit aktuellen Attributen ausgestattet. Der Text bleibt reiner Büchner, wenn auch neu verteilt.

Das offene Drama macht‘s möglich: Immer wieder wird Woyzeck, der Gamer, aufgefordert, aus mehreren Handlungsoptionen zu wählen; wenn seine Wahl zum Game over führt, wird neu gestartet. Friedrich interessiert der Punkt, in dem Frustration in Gewalt umschlägt: „Viele Games bieten die Option, gewalttätig zu werden, explizit an – und es ist erschreckend, wie schnell man dazu bereit ist, wenn man anders nicht weiterkommt.“ Im Videospiel ist Handlungsfreiheit also immer nur eine scheinbare. Und im Leben? Wie das Spiel enden wird, war zum Zeitpunkt des Gesprächs mit Jan Friedrich noch unklar. Ob es Woyzeck gelingen kann, aus der Realität des Games in eine eigene, bessere zu finden?

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© Engelhardt

Schauspielhaus/Theater Magdeburg

Otto-von-Guericke-Straße 64, 39104 Magdeburg View Map

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