In der Spielzeit dreht sich im Schauspielhaus einiges um Machtverhältnisse

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© Vanessa Weiss

Zum Auftakt gleich fünf Premieren auf einmal. Ihr wollt es offenbar wissen. Es geht einfach darum, einen starken Auftakt zu zeigen. Die Spielzeit ist lang und wir wollen signalisieren: „Hallo, wir sind wieder da!“ Theater ist im schönsten Sinne auch überfordernd. Wo hat man sonst so eine Energie, einen Tempel, der so viel möglich macht.

Los geht es mit der Uraufführung von „Die Stadt der Fahrraddiebe“, eine Produktion von Regisseur und Autor Hakan Sava Mican, dem Hausregisseur des Berliner Maxim-Gorki Theaters. Das klingt vielversprechend. Die Idee kam von Hakan, er war fasziniert von Vittorio de Sicas Film „Fahrraddiebe“, der auf dem Roman von Luigi Bartolini basiert. Es wird die Geschichte eines Ich-Erzählers erzählt, dem im Rom der Nachkriegszeit das Fahrrad geklaut wird. Er begibt sich auf die Suche danach und begegnet verschiedenen Menschen. Hakan hat Parallelen zu Magdeburg gesehen. Auch Magdeburg hat Nachkriegswunden, ist von ambivalenter Vergangenheit geprägt. Wir wollen also ein Stadtporträt der besonderen Art machen.

Magdeburgs Lokalpatriotisten wird’s freuen. Wir bilden aber nicht die Stadt eins zu eins auf der Bühne ab. Der Name Magdeburg wird an diesem Abend nicht auftauchen. Wir sprechen nur von „der Stadt“, vor allem durch die Geschichten. Hakan möchte bestimmte Lebensgefühle beschreiben, wie zum Beispiel das Thema Verlust, auch Besitz und Identität. Das wird an dem Abend alles gar nicht so konkret angesprochen. Es bleibt sinnlich, experimentell und collagenhaft.

Wie erkennen sich die Magdeburger denn in der „Stadt der Fahrraddiebe“ wieder? Wir haben verschiedene Figuren erfunden. Jede bekommt im Stück ihre Episode und die Idee der Episoden wird nacheinander erzählt. Das ganze wird gemischt mit Liedern, die Bezug zu Magdeburg haben, wie „Durch den Monsun“ von Tokio Hotel. Das wurde von unseren Komponisten Maren Kessler und David Schwarz neu arrangiert für a cappella mit sechs Stimmen.

Ihr habt über facebook auch nach persönlichen Erlebnissen von Magdeburgern mit dem Fahrraddiebstahl gesucht. Wie findet das mit dem Buch zusammen? Wir haben uns über die Themen an die Sache genähert, wie Verlustangst, Zentrumslosigkeit, sind über Primärliteratur wie Samuel Beckett und Albert Camus gegangen. Auch bekannte Filme spielen eine Rolle. Die muss man allerdings nicht erkennen. Hakan und ich haben etwas geschrieben, aber auch die Schauspieler. Aus den Texten, die zum Teil monologisch sind, collagieren wir den Abend zusammen.

Hat die Spielzeit ein übergeordnetes Thema? Wir beschäftigen uns thematisch ganz klar mit Machtverhältnissen. Das lässt sich sehr deutlich an der Inszenierung „König Ubu“ festmachen. Darin geht es um einen kleinen Mann, der sich an die Spitze des Reichs putscht und sehr tyrannisch regiert und am Ende sehr tief fällt. Nicht anders ist es mit dem Dostojewski-Stück „Das Gut Stepantschikowo und seine Bewohner“, einer kaum bekannten Erzählung von ihm. Sie macht am deutlichsten, wie eine Gesellschaft einen Menschen duldet, der sich zur Gefahr entwickelt. Durch das Abwarten bekommt die Geschichte eine unwahrscheinliche Aktualität, denken wir an den Syrien-Konflikt und das Verhältnis Russland-Türkei-Amerika, oder die Flüchtlingsdebatte zwischen Österreich und Deutschland.

Auf Macht folgt also Ohnmacht. Ohnmacht ist der andere thematische Baustein der Spielzeit. Das macht sich an dem Stück „Balkanmusik“ bemerkbar. Da geht es um drei Jungs, die irgendwo in Niedersachsen eine Band haben und antikapitalistische Lieder machen. Das interessiert aber niemanden. Sie fahren zu einem Festival auf dem Balkan. Dort werden sie von Rebellen entführt. Der Wunsch nach realen Erlebnissen wird für die drei viel realer, als sie wollten. Denn sie sollen für deren Revolution, der eben auch Menschen zum Opfer fallen, eine Hymne schreiben. Was macht man da? Tatsächlich spielt das Stück mit Klischees über den Balkan, welche durch Filme wie Kusturicas „Schwarze Katze, weißer Kater“ geprägt wurden. Die Komik ist dabei ein entscheidende Eigenschaft, die man in allen unseren Stücken wiederfindet.

Mit den Premieren lernen wir auch die neuen Gesichter des Ensembles kennen. Du bist auch neu am Haus, was ist dir aufgefallen? Wir haben einen relativen kleinen Zuschauersaal, aber trotzdem 21 Schauspieler. Das ist das Haus ein großes Ensemble. In Darmstadt haben sie, glaube ich, 15 Schauspieler fest im Ensemble und einen 500-Leute-Saal nur für das Schauspiel. Ich finde es fantastisch, dass das Ensemble in Magdeburg so groß ist. Wir können große Stoffe machen. Und für Stücke wie Peter Handkes „Die Stunde da wir nichts voneinander wußten“, mit dem wir die Spielzeit beschließen werden, benötigt es viele Spieler auf der Bühne. Es ist toll, dass wir diese Möglichkeiten haben.

Zur Veranstaltung: Stadt der Fahrraddiebe, Premiere: 7. Oktober, 19.30 Uhr

© Engelhardt

Schauspielhaus/Theater Magdeburg

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