Krise als Chance

In seiner Gas-Trilogie erzählt Georg Kaiser die Tragödie einer Familie und zeigt zugleich die zerstörerische Kraft einer auf industriellem Fortschritt bestehenden Gesellschaft. Florian Fischer inszeniert das Drama jetzt am Schauspielhaus.

by

© Engelhardt

„Ein Zischlaut zerspleißt die Stille. Malmender Donner kracht los. Die Schlote knicken und fallen um.“ Es ist eine verheerende Explosion in der Gasfabrik, die das Leben vieler Arbeiter auslöscht, dabei galt das Gas doch als Segnung einer modernen Zeit: „Kohle und Wasserkraft sind überboten. Die neue Energie bewegt neue Millionen Maschinen mit mächtigerem Antrieb.“ Aber nun offenbart sich die immer hemmungslosere, zerstörerische Kraft menschlicher Naturaneignung.

Der in Magdeburg geborene Dramatiker Georg Kaiser schrieb seine sogenannte Gas-Trilogie zwischen 1917 und 1920, also in den Wirren nach Ende des Ersten Weltkriegs. Wie kaum ein anderer erkannte der in Magdeburg geborene Dramatiker die Zusammenhänge von Fortschritt, Kapital, Arbeit auf der einen und Vernichtung auf der anderen Seite. Selbst wie ein Getriebener agierend, schrieb er in den 1920er Jahren ein Drama nach dem anderen, avancierte zu einem der wichtigsten und meistgespielten expressionistischen Autoren überhaupt. So ist das Gas in seinem Drama nicht nur Ware, sondern steht als Rohstoff symbolisch für die Konflikte einer auf permanentem Wirtschaftswachstum basierenden modernen Gesellschaft.

Im Mittelpunkt der Geschichte steht ein Milliardärssohn. Während sein Vater einst selbst Arbeiter war und mit Wohltätigkeit sein Gewissen zu beruhigen suchte, wollte er lieber als Heizer auf einem Frachtschiff arbeiten, statt auf der familiären Luxus­yacht zu reisen. Nun ist er Erbe der Fabrik und beteiligt die Belegschaft am Gewinn. Aber seine Sozial­utopie scheitert durch eben jene Explosion im Werk. Denn als er die Arbeiter zur ökologischen Kehrtwende bringen will – aus den Ziegelsteinen der zerstörten Fabrik könnte man etwas Neues, ganz anderes bauen –, drängen Arbeiter, Kapital und Politik gleichermaßen auf den Wiederaufbau der Fabrik. Fortschritt, Finanzmärkte und Armeen benötigen Gas – koste es, was es wolle!

Obwohl die Parallelen zum Hier und Heute frappierend sind, belässt Regisseur Florian Fischer die Geschichte in den 1920ern. Vor expressionistischer Kulisse, für die er gestalterische Anleihen bei Bruno Taut nimmt, lässt er Kaisers „naturalistische, überwältigende Sprache“ wirken. Die Krise wird im Stück zur Chance, der Milliardärssohn will den neuen Menschen schaffen, aber auch irgendwie zurück. Aber was ist der verbale Gegenentwurf zum vielbeschworenen Fortschritt? „Dem Begriff Rückschritt fehlt es jedenfalls an gesellschaftlicher Akzeptanz“, orakelt Fischer, „vielleicht sind Begriffe wie Umorientierung oder Verzicht passender.“ Wie geht das Drama weiter? Der Milliardärssohn verweigert beharrlich den Wiederaufbau. Mit allen Konsequenzen ...

Hier geht es zum Stück von Georg Kaiser

© gemeinfrei

Georg Kaiser, der Autor, war einer der vielseitigsten und meistgespielten Dramatiker der 1920er Jahre, von dem allein zwischen 1917 und 1933 40 Stücke uraufgeführt wurden. An seiner allzu preußischen Heimatstadt litt der 1878 in Magdeburg geborene Kaufmannssohn ebenso wie am Fluch des zunehmenden Tempos seiner Zeit und der Bequemlichkeiten von Auto, Telefon, Flugzeug und Radio.

© Engelhardt

Schauspielhaus/Theater Magdeburg

Otto-von-Guericke-Straße 64, 39104 Magdeburg View Map

0391 40490490

0391 404904999

Visit Website

Back to topbutton