Emma Thompson: „Hier spielt sich das wahre, menschliche Leben ab“

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© Concorde Filmverleih

Mrs. Thompson, redet man Sie jetzt mit „Dame Emma“ an? Ja, wenn Sie mögen. Was für eine Erfahrung war es, in den Ritterstand erhoben zu werden? Nun, ich habe zu dieser Zeit gerade in New York gearbeitet. Ich bekam einen Brief, in dem es hieß, dass die Königin mir diese Ehrung zuteilwerden lässt. Danach bleibt einem nur eine Woche Zeit, um darüber zu entscheiden, ob man die Auszeichnung annimmt oder nicht. Meine erste Reaktion war Begeisterung, komplette und vollkommene Begeisterung. Dann setzten die Schuldgefühle ein. Ich dachte: Warte einen Moment, das ist das Establishment! Ich selbst bin eher links ausgerichtet. Und dann dachte ich darüber nach, dass ich mein Leben lang für die Position der Frauen eingetreten bin. Nun ging es darum, einer Frau, die auf ihrem Arbeitsgebiet viel geleistet hat, Respekt zu zollen. Nämlich mir. Sollte ich sagen, dass die Ehrung nicht für mich steht? Nach reiflicher Überlegung fühlte es sich am besten an, meine Zustimmung zu geben.

Hat Ihnen die Königin die Auszeichnung persönlich überreicht? Diese Erfahrung habe ich nicht gesammelt. Wir sprechen hier über eine Plakette.

Warum können Sie gerade den traurigen Frauen auf der Leinwand ein so überzeugendes Gesicht verleihen? Ich glaube, dass das Dasein der Frau größtenteils ziemlich traurig ist. Als ich jung war, hatte ich das Gefühl, dass mir die Welt offensteht. Dann wurde mir bewusst, dass dem nicht so ist, weil man es Frauen nicht zugesteht. Mir wurde etwa gesagt, dass ich nicht lustig sein kann. Ich kann auf viele Beispiele verweisen, bei denen man mir einreden wollte, dass ich bestimmte Dinge nicht tun kann, weil ich eine Frau bin. Und ich gehöre zu den Frauen, die sich glücklichen schätzen können. Die Erfahrungswelt einer Frau ist oft sehr schwierig, ziemlich traurig und enttäuschend. Ich spreche da für viele Menschen, die mir zustimmen würden. Sie mögen mir widersprechen, weil man als Mann vielleicht ähnliche Erfahrungen sammelt. Das weiß ich nicht. Ich kann hier nur meine Sicht der Dinge wiedergeben.

Stimmen Sie die aktuellen Entwicklungen in dieser Hinsicht optimistisch? Ich habe immer gesagt, dass wir es hinkriegen können. Ich habe dafür gekämpft. Man musste mich nicht erst davon überzeugen, dass Veränderungen möglich sind. Ich hatte das Glück, Männer zu treffen, die meine Arbeit schon geschätzt haben, als ich noch jung war. Ich bin meinem männlichen Agenten und männlichen Produzenten sehr dankbar, die mich darin bestätigt haben, dass ich ein Talent fürs Schreiben habe. Sie haben mich unterstützt. Leute aus der Führungsebene haben mir viele Möglichkeiten gegeben. Das werde ich ihnen niemals vergessen.

Gab es während der Dreharbeiten Momente, in denen Sie dafür dankbar waren, keine Familienrichterin sein zu müssen? Ja, absolut. Ich habe Zeit im Familiengericht verbracht und dort so einige Gespräche geführt. Normalerweise geht man davon aus, dass am Kriminalgericht die großen und wichtigen Entscheidungen getroffen werden. Weil man beim Familiengericht „nur“ über häusliche Probleme spricht, ist dessen Ansehen geringer. Klar, es geht ja meistens nur um Frauensachen. Bei den Gesprächen mit den Richterinnen und Richtern ging mir auf, dass sich eigentlich hier das wahre, menschliche Leben abspielt. Die Entscheidungen, die man zu treffen hat, sind brutal. Hier trifft man oft auf zutiefst verzweifelte Menschen und gequälte Kinder. Das ist furchtbar. Diese Verantwortung für Leben oder Tod, diesen ganz konkreten Einfluss auf ein menschliches Dasein könnte ich selbst nicht tragen. Vielleicht, weil meine Empathie zu stark ausgeprägt ist. Aber klar, die Frauen, die in diesem Job arbeiten und die ich persönlich kenne, verfügen über eine ähnliche Empathie. Sie müssen Wege finden, sie für positive Zwecke zu nutzen und sich gleichzeitig selbst davor zu schützen. Ich danke Gott, dass das nicht mein Job ist.

„Kindeswohl“ ist auch eine Geschichte über Liebe und Leidenschaft. Es ist schmerzhaft mitzuerleben, wenn Fiona ihrem Ehemann die Türen verschließt. Nun, ich denke, dass eine der Vorstellungen, die wir überwinden müssen, folgende ist. Der Partner, den man endlich getroffen hat, jemand, mit dem man sich auf eine ernsthafte Beziehung einlassen möchte, wird nicht allzeit derselbe bleiben. Tatsächlich müssen alle Langzeitbeziehungen irgendwann sterben, um neu geboren zu werden. Darüber wird in der Psychoanalyse und der Paartherapie viel gesprochen. Eine Beziehung stirbt und wächst dabei, sie stirbt und wächst. Entweder man arbeitet daran oder man trennt sich nach zwanzig Jahren – so wie viele meiner Freunde – und fragt sich, was das eigentlich war. Dann heißt es: Was habe ich nur zwanzig Jahre lang getrieben? Dabei ist die Antwort doch klar, man hat nicht miteinander darüber geredet, was sich geändert hat. Es stören plötzlich Eigenheiten, die früher nie gestört haben. Es ist nicht einfach, sich solche Dinge gegenseitig einzugestehen.

Ich liebe es an Stanleys Filmcharakter (Anm.: Stanley Tucci spielt Fionas Ehemann), dass er den Mut dazu aufbringt. Es ist sehr interessant, wie unterschiedlich die Menschen darauf reagieren. Einige finden sein Vorgehen scheußlich. Ich hingegen halte es für sehr tapfer, wenn er seiner Frau sagt, dass sie nicht zuhören will, obwohl man dringend reden muss. Wir haben solche Angst vor emotionalem Schmerz. Aber das Leben ist kein Ponyhof. Wir müssen uns dem Schmerz stellen, ihn annehmen und hinterfragen, was er uns sagen will.

Im Film heißt es, man sollte immer wild und frei bleiben. Ist das überhaupt möglich? Nein, das funktioniert in der Realität nicht. Wenn man tatsächlich immer wild und frei leben möchte, muss man sich darauf einstellen, oft auch sehr einsam zu sein.

Sehr anständige Filmfiguren sind oft auch sehr langweilig. Wie gelingt es Ihnen, solche Charaktere trotzdem interessant zu gestalten? Wir sind es nicht gewohnt, Anstand interessant zu finden. Meiner Meinung nach kann man nur anständig sein, wenn man die Komplexität des eigenen Seins erkennt. Anstand erfordert alle Arten von Mitgefühl und Toleranz, zuallererst sich selbst gegenüber. Diesen Zustand zu erreichen, ist sehr kompliziert. Anstand ist komplex. Gut zu sein, ist komplex. Wenn wir Geschichten erzählen, tun wir das oft schwarzweiß. Wir zeichnen die Geschlechterrollen schwarzweiß. Gegenwärtig bewegen wir uns aber davon weg. Deshalb interessiert mich die aktuelle Geschlechterdiskussion. Dieser fließende Prozess erlaubt uns vielleicht das Überwinden bestimmter, starrer Rollenklischees, die man Männern und Frauen aufzwingt. Auch viele Männer hassen sie. Wie wir einander gegenübertreten, wandelt sich momentan komplett. Es ist eine aufregende Zeit.

Woher beziehen Sie die große Natürlichkeit und Authentizität, die sich in Ihren Rollen niederschlägt? Ich hatte keine kosmetischen Operationen und ich lasse mich nicht spritzen. Ich mag keine Injektionen! Ich kann nicht nachvollziehen, dass sich andere Menschen freiwillig Injektionen ins Gesicht verpassen lassen. Das ist schrecklich!

Filmstart "Kindeswohl", 30. August

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