Martin Kohlstedt: "Manchmal sind die Gedanken schneller als meine Finger."

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© Konrad Schmidt/BFF-Professional

Martin Kohlstedt entwickelt als Pianist und Komponist Melodien und Klänge kontinuierlich weiter, die ihn seit seiner Jugend begleiten. Seine Konzerte sind musikalische Ereignisse voller Spielfreude und Improvisationskunst. Das aktuelle Album „Strom“ liefert einen aktuellen Zwischenstand. Wir sprachen mit ihm.


Der Frühling ist da. Ist dein Spiel auf einer Konzerttour abhängig vom Wetter? Auf jeden Fall haben alle Umwelteinflüsse eine deutliche Auswirkung auf meine mentale Situation. Wenn die Sonne scheint, sind meine Sensoren offen für neue Gedanken. In der dunklen Jahreszeit greift man eher auf einen bereits vorhandenen Datenbestand zurück.

Dein Hauptinstrument ist das Klavier, ergänzt durch diverse Synthesizer und das Fender Rhodes. Wie erklärst du dein für diese Musik außergewöhnlich junges Publikum? Weil alles improvisiert ist, spricht es junge Leute an, die auf Suche sind nach ihrer Position im Leben. Zum Teil sind es keine fertigen Kompositionen, weil ich selbst auch nichts anderes mache als zu suchen. Die Menschen spüren, dass die Musik jetzt erst entsteht und auch, dass sie gerade ein Teil dieser Kunst sind.

Warum bespielst du am liebsten kleinere Clubs, obwohl du auch große Hallen wie die Elbphilharmonie füllst? Ich glaube, dass eine wichtige Sache auch die familiäre Situation ist. Das traditionelle System vom Künstler auf der Bühne und Publikum davor wird aufgehoben. Ich brauche das Publikum auch für das Spiel. Mir ist wichtig, viele Spiegel um mich zu haben. Ich kann Vertrauen wagen und in die reine Improvisation gehen, bis hin zum Scheitern. Das Publikum ist dann keine wertende Masse mehr, sondern es sind Mitmenschen, die den Prozess des Entstehens begleiten. Wie eine Armee, die ich hinter mir weiß.

Das trifft es sehr gut, denn du sitzt ja meistens mit dem Rücken zum Publikum, also schutzlos. Ja, die Armee bestärkt mich in meiner Richtung. Ich komme so durch Mauern, die ich ohne diese Hilfe nicht überwinden könnte. Ich versuche so auch eine Teilhabe zu vermitteln.

In welcher Form bist du denn mit dem Publikum verbunden? Es ist keine aktive Verbindung, aber trotzdem findet eine unterbewusste Kommunikation statt. Wenn ich aber während der freien Improvisation meinen inneren Ebenen begegne, empfinde ich mich als Katalysator für die Vorgänge im Inneren der Zuhörer.

Möchtest du etwas Bestimmtes mit deiner Musik ausdrücken? Meine Musik ist jedenfalls nie fertig. Ich kann nicht angemessen beschreiben, was ich da tue. Manchmal halte ich ein Musikstück für abgeschlossen und schon beim nächsten Konzert erscheint alles unvollkommen und ich stelle alles wieder auf den Kopf. Das ist keine Angst vor einer Festlegung, eher fehlt mir ein Recht dazu. Überhaupt habe ich eine Abneigung gegen Festlegungen, weil durch die dann eintretende Erwartungshaltung eine Kommunikation mit meinem Gegenüber verhindert wird. Bei meiner Musik geht es nicht um Sicherheit. Es wird immer wieder versucht.

Brauchst du Auszeiten, um die Dinge in deinem Inneren zu fassen? Im Grunde versuche ich, Konzerte über das ganze Jahr verteilt zu halten, fast schon als therapeutischen Ansatz. Ich muss mich immer wieder einer überschaubaren Menschenmenge aussetzen, um den Kontakt tatsächlich wahrzunehmen. Aber ich habe auch mal für etwa zwei Monate im Jahr eine private Zeit, z.B. in San Sebastian zum Surfen, wo ich dann meinen Geist defragmentiere.

Wie groß ist deine Bereitschaft, mit anderen Musik zu machen? Es gibt viele Anfragen. Meistens handelt es ich um eine Arbeit an vorhandenem Material. Manche arbeiten daran allein, teilweise auch gemeinsam mit mir. Und so kann ich über meine eigenen Stücke immer wieder etwas lernen. Ich suche die Reibung.

Reibung kommt bei deinen Konzerten auch bereits durch deine teilweise außergewöhnliche Auswahl der Spielorte. Es soll ja auch gebrochen werden. Das Klavier muss dort spielen, wo man es nicht erwartet und die Elektronik habe ich z.B. in der Elbphilharmoie verstärkt eingesetzt, weil sie dort nicht erwartet wird. So hat man eine Provokation, einen Diskurs.

Die Musik soll also nicht zu sehr vom Spielort beeinflusst werden? So ist es. Ein Abstand, eine vermeintliche Heiligkeit aufgrund von Referenzen soll zugunsten einer Offenheit vermieden werden.

Wie könnte man deine Musik technisch näher beschreiben? Während des Spiels baut sich etwas auf und wird gefestigt. Einzelne Module werden addiert, aber auch wieder subtrahiert, dann nochmal multipliziert und auch geteilt durch Null. Aber dann gibt es Brüche ins Nichts, sozusagen ins Chaos gehend. Manchmal sind die Gedanken schneller als meine Finger. Das schönste ist, auf der Bühne mit einem Scheitern zu bestehen. Das erst macht die ganze Weite aus. Erst da kann ich anfangen, richtig zu diskutieren.

Kannst du dich über deine instrumentale Musik vollständig ausdrücken? Ich fühle mich in der körperlichen Bewegung wohl. Deswegen heißt mein aktuelles Album auch „Strom“. Strom ist wie eine natürliche Bewegung. Meine Musik lässt Raum für eigene Gedanken. Texte machen die Welt oft kleiner.

Zur Veranstaltung: Martin Kohlstedt, 12. Mai

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