Christian Friedel: „Magdeburg ist kein leichtes Publikum“

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© Yves Borgwardt

Seit Michael Hanekes preisgekröntem Film „Das Weiße Band“ (2009) zählt er zur A-Liga des deutschen Kinos, es folgten u.a. „Russendisko“, „Elser“ zuletzt „Zuckersand“, im Herbst war er im TV-Quotenhit „Babylon Berlin“ zu erleben. Die Brotarbeit aber war und ist für den 39-jährigen das Theater. Während seines Engagements am Staatsschauspiel Dresden gründete er 2011 mit vier Musikern von Polarkreis 18 („Allein, allein“) die Band Woods of Birnam. Seit 2012 begleitet seine Band dort die „Hamlet“-Inszenierung von Roger Vontobel. Dass William Shakespeare immer wieder Inspirationsquelle ist, belegen die beiden Alben „Woods of Birnam“ und „Searching for William“ sowie der Name der Band, der „Macbeth“ entspringt. 2014 lieferten sie den Titeltrack zu Til Schweigers Film „Honig im Kopf“ – das bisherige Karrierehighlight der Band!


Christian, wofür steht „Grace“? Es steht für die Anmut des Lebens. „Grace“ kann andererseits auch ein Name für eine Person sein. Wir haben es so umschrieben, dass es trotz des traurigen Grundtenors ein sehr lebensbejahendes Album ist.

Mit dem traurigen Grundtenor meinst du den Verlust deiner Mutter, es war der Anlass für „Grace“. Kein leichter Schritt, das zum Thema zu machen. Wie hat die Band deine Idee angenommen? Das war eine Diskussion, ob man so etwas veröffentlicht, weil es in unserer Gesellschaft so ist, dass wir über den Tod eigentlich nie reden. Ich bekam dann aber auch aus meinem Umfeld eher Zuspruch, das zu veröffentlichen. Das Wesen meiner Mutter war ein fröhliches. Sie lachte gerne, tanzte gerne und das ist etwas, was ich in der Musik widerspiegeln wollte, also auf keinen Fall ein düster trauerndes Album. Meine Mama hatte uns bei den Aufnahmen fürs Debüt-Album in Berlin und bei Konzerten besucht, die Band kannte sie. Wichtig war ihnen natürlich, dass es trotzdem ein Band­album werden würde. Also haben wir uns mit Verlust beschäftigt – den hat ja jeder irgendwann in seinem Leben schon erlebt. Außerdem haben wir uns mit der eigenen Jugend, der Kindheit und unseren ersten musikalischen Einflüssen auseinandergesetzt. Die Jungs sind in dieser Zeit Väter geworden und das ist etwas, was das Album in der Kompaktheit auch widerspiegelt – das Leben ist in einem Fluss und geht weiter.

Mit den Texten gibst du tiefe Einblicke in dein inneres Ich. Ich empfinde es als ein Geschenk, diese Kunstform zu haben, über die ich mich ausdrücken kann, mich spiegeln kann. Die Herausforderung war, es in Englisch zu machen. Also habe ich die Texte zusammen mit Duncan Townsend, einem Singer-Songwriter, geschrieben. Das war sehr angenehm, weil ich ihm mit meinen Worten sagen konnte, was ich erzählen möchte. Als Native Speaker hat er das in Phrasen und Worte gepackt, die ich mit meinem begrenzten Vokabular nicht hätte machen können. So bekamen die Texte eine ganz eigene Poesie.

Eine Zusammenarbeit, die du sicher weiterführen willst? Oh ja, das kann ich mir sehr gut vorstellen. Elton John hat zum Beispiel auch seit Jahrzehnten einen Texter, der für ihn die Texte schreibt. Ganz unabhängig vom Transfer ins Englische muss man dazu Talent haben. Und ich glaube, dass ich selbst nicht so ein toller Texter bin.

Hat dir das Schreiben geholfen, den Verlust zu überwinden? Ich glaube ja, aber den Verlust verarbeitet man sein Leben lang. Das prägt einen tief. Das Texten ist ein kleiner Schritt, um darüber zu sprechen, um es über die Jahre akzeptieren zu können.

© Sarah Lorenz

Hat sich dein Blick auf das Leben dadurch verändert? Meinen Vater habe ich ja auch schon früh verloren. Ich denke, dass jeder Einschnitt im Leben – tragische und auch positive Sachen – das Leben prägt, verändert und erweitert. Letztendlich muss man für sich einen Weg finden, sie annehmen, um daraus Kraft zu schöpfen. Wenn man das schafft, macht es einen stärker.

„Grace“ war als zweites Album geplant, nun ist es das dritte geworden. „Searching for William“, das zweite Album, war ja ein Theaterprojekt. Wir haben das dazwischen geschoben, weil wir die Möglichkeit hatten, das in Dresden direkt am Theater zu machen. Deswegen haben wir den Produktionsprozess, der schon begonnen hatte, ein bisschen liegen lassen.

Ihr schreibt: „Grace steht für einen wichtigen neuen Schritt in der Bandgeschichte“. Welchen denn? Wollt ihr euch damit vom Theaterband-Image loslösen? Auf jeden Fall wollen wir, so sehr wir das Theater lieben, nicht nur als Theaterband wahrgenommen werden. Nach dem Debüt-Album, was noch beide Welten vermischt, war es für uns als Band wichtig, ein Album zu machen, was autark funktioniert und was uns rein musikalisch weiterbringt. Für uns ist „Grace“ ein wichtiges Album, weil es eben mal ganz ohne Theater auskommt und uns als eigenständige Pop-Band präsentiert.

Soundtechnisch habt ihr euch jedenfalls hörbar verändert und weiterentwickelt. Auf jeden Fall! Beim Debüt-Album wollten wir, dass man hört, dass wir eine gute Live-Band sind. Und bei dem jetzigen Album war es wichtig, sich der intensiven Produktion und der Live-Performance zu widmen: also in Chören zu arbeiten, in Overdubs, und auch Lust zu haben, Sounds und Beats zu formen, die man live so nicht 1:1 umsetzen kann. Letztendlich elektronischer zu denken.

Einflüsse der 80er/90er sind deutlich hörbar. Jeder hat so seine eigene Geschichte. Ich bin viel mit Ende-der-80er-, Anfang-der-90er-Musik aufgewachsen und bin froh, dass ich nicht New Kids on the Block-Fan, sondern eher Roxette-Fan war. Ich habe sehr früh Tori Amos gehört, Radiohead entdeckt, Björk ist eine meiner Lieblingssängerinnen, aber auch Faith No More. Sicherlich hört man diese Einflüsse teilweise in den Songs. Bei den Jungs waren auch Einflüsse von Sigur Rós und Coldplay dabei. Große Radiohead-Fans sind wir alle. Wir haben während der Aufnahme auch sehr viel Schallplatte gehört, weil unser Produzent O.L.A.F. Opal ein absoluter Vinyl-Nerd ist. Wir saßen dann zusammen bei gutem Essen und haben Platten aus den 70ern und 80ern laufen lassen.

Magdeburg ist bei eurer „Grace“-Tour natürlich dabei. Der Moritzhof ist Heimspiel und große Erinnerung zugleich. Du meinst bestimmt, weil wir da eines unserer ersten Konzerte gespielt haben, als wir noch nicht Woods of Birnam, sondern Christian Friedel und Band waren. Das war im Frühjahr 2011. Ich hoffe natürlich, dass wir seither ein breiteres Publikum gewonnen haben, Leute, die auch wegen der Musik kommen und das Album hören wollen. Ich freue mich total auf das Konzert, obwohl es kein leichtes Publikum ist. Magdeburger sind von Hause aus kritisch. Aber wenn sie dir einmal das Herz zugeworfen haben, hast du es auch. Letztendlich trage ich diese Eigenschaft auch in mir. Ich erwische mich immer mal wieder, dass ich, ob bei Theaterstücken, Filmen oder Konzerten, gern selbst den leicht kritischen Blick habe. Wenn ich dann aber merke, diejenigen können etwas, respektiere ich das sehr und bin begeistert.

Werden wir auch Hits wie eure Hymne „I'll Call Thee Hamlet“ hören? Natürlich werden wir den dabei haben, es ist ja unser bislang bekanntester Song. Neben alten Songs werden wir auch ein paar bisher unveröffentlichte Songs spielen.

Du bist nicht nur Musiker, sondern auch Schauspieler und Theater-Regisseur. Wie beeinflusst diese Symbiose eure Arbeit? Es ist natürlich super, wenn sich Bereiche, die mich interessieren, miteinander verbinden. Das Theater gibt einem ja die Möglichkeit, extrem grenzenlos zu musizieren. Bei „Grace“ habe ich schon im Pop-Kontext gedacht: du musst den Fokus legen, darfst dich nicht verzetteln, du kannst zwar breitgefächert instrumentieren; aber gut wäre es schon, wenn es nicht zu sehr auseinander geht.

Mit der Thriller-Miniserie „Parfum“ unter Regie von Philipp Kadelbach wagt man nun einen Spagat zwischen Fiktion und Gegenwart. Ist der deiner Meinung nach gelungen? Ja. Die Serie nimmt die Essenz vom Buch auf, funktioniert aber auch autark. Sie spielt im Jetzt, ist sehr spannend, sehr atmosphärisch und versucht natürlich sehr stark, mit der internationalen Konkurrenz mithalten zu können.

Was hat dich gereizt bei „Parfum“ mitzumachen? Mich hat vor allen Dingen dieses Geheimnis dieser Figur gereizt. Ich suche mir ja Projekte immer aus, wo ich das Gefühl habe, das sind spannende Figuren und teilweise haben die ein Geheimnis, was nicht sofort im Drehbuch erkennbar ist. Mich hat natürlich die Verwandlung gereizt. Es hat unglaublich Spaß gemacht, mich in diesen Außenseiter, den etwas übergewichtigen, zotteligen, traurigen Clown zu verwandeln.

Welche Regisseure schätzt du besonders und wie war die Zusammenarbeit bei „Parfum“? Ich habe meinen ersten Film mit Michael Haneke gedreht und kann auf jeden Fall sagen, dass er für mich Vorbild und Mentor ist. Natürlich kann man nicht alle mit Haneke vergleichen, da er sehr speziell ist in seiner Filmsprache. Ich fand jetzt die Arbeit mit Philipp Kadelbach bei „Parfum“ extrem toll, weil Philipp ein wahnsinnig gutes Gespür hat, mit Schauspielern an Situationen zu arbeiten.Derzeit arbeite ich mit Tom Tykwer, Hendrik Handloegten und Achim von Borries an „Babylon Berlin“ weiter. Ich bin riesengroßer Fan von Tykwer. Ich hätte da auch den Stuhl von links gespielt in der Serie. Ich bin grundsätzlich sehr offen und kann jedem nur empfehlen, sowohl vor als auch hinter der Kamera, diese Offenheit an den Tag zu legen. Und auch jedem TV-Redakteur kann ich nur empfehlen, mutiger zu sein in den Besetzungen, als es oft im deutschen Fernsehen üblich ist.

Du sagst der deutsche Film braucht mehr Mut. Er braucht mehr Mut in der Finanzierung. Es gibt genug mutige Leute, mutige Drehbücher, tolle Autoren. Aber es werden immer Projekte finanziert, die sich grundsätzlich auch refinanzieren lassen. Dazu gehören diese unsäglichen, romantischen Komödien, die in den Kinos hoch und runter laufen. Das Publikum muss das Bewusstsein bekommen: Auch wir können Genre machen! Wir können tolle Serien machen! Wir haben tolle Schauspieler, tolle Regisseure, tolle Autoren! Das muss gefördert werden und wird es jetzt auch. Aber ich finde, was als innovativ bezeichnet wird, kommt viel zu spät. Man muss immer aufpassen, dass man nicht den Anschluss verliert. Ich bin froh, dass jetzt tolle Serien gedreht werden, wie „Parfum“, „Babylon Berlin“, „Dark“ oder „Bad Banks“. Ich hoffe, dass das mit tollen weiteren Projekten weitergeht.

Du lebst in Dresden, kehrst aber immer wieder nach Magdeburg zurück. Was treibt dich? In Magdeburg sind meine Wurzeln, das ist meine Heimat, die mir am Herzen liegt und immer liegen wird. Die Stadt hat so eine intensive Geschichte. Und wenn man sich damit mal beschäftigt, wie diese Stadt im 30-jährigen Krieg und im 2. Weltkrieg gelitten hat, tut es im Herzen weh. Ich trage die Geschichte in mir, es ist sicher ein Grund, warum ich immer wieder hierher zurückkehrt bin. Andererseits meine ich, Kultur ist hier schwerer zu machen, als etwa in Berlin, unmöglich ist es natürlich nicht.

Berlin ist das Stichwort. Das Ziel für deinen künftigen Lebensmittelpunkt, sagst du, heißt Berlin. Berlin ist seit meiner Kindheit eine Stadt, in der alles möglich scheint. Das ist der Reiz an Berlin. Du kriegst halt alles. Du hast dort unglaubliche Netzwerke: Schauspieler, im Regiebereich. Oder nimm die Musik: es gibt so viele tolle Musiker, die dort hinkommen und arbeiten, mit denen du zusammenarbeiten, dich verwirklichen und weiterkommen kannst. Das ist natürlich das große Versprechen, was Berlin gibt.

Und Magdeburg? Ich arbeite schon seit langem daran, dass wir unser Shakespeare-Theaterprojekt hier mal am Schauspielhaus zeigen dürfen. Mal sehen.                                

Zur Veranstaltung: Woods of Birnam, 11.1.

© Engelhardt

Kulturzentrum Moritzhof

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