Warum Fische nicht antworten

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Er saß schlaff mit hängenden Schultern am Tisch und versuchte freundlich zu lächeln, als ich fragte, ob ich mich auf den einzig freien Platz in dieser Gaststätte neben ihn setzen darf. Seine Frau kam seiner Antwort zuvor. „Natürlich darfst Du!“ Dass diese Frau mit der viel zu dicken Brille in dem abgehärmten Gesicht micht duzte, ließ mich ahnen, dass mir in der nächsten Stunde Contenance schwer fallen würde. „Der Kiro freut sich immer über neue Menschen, die in sein Leben treten.“ Ein süßes Kind nickte und strahlte mich an. Ich wollte weder in sein Leben treten, noch zur Freude von Kindern beitragen, deren Eltern von ihren Kindern sprechen, als wären sie einzigartig. Aber nun ja, ich wollte in dieses Ostseebad und in diese Gaststätte. Und ich wollte einfach nur Fisch essen.

„Das Möhren-Ingwer-Süppchen ist hier sehr gut!“, meinte die Abgehärmte. Schlaffi nickte brav und ergänzte: „Möhren aus dem Garten hinter‘m Haus.“ Kiro wollte von mir eine ganze Menge wissen. Wie ich heiße, woher ich komme und was ich am liebsten spiele. Seine perfekte Aussprache machte mir Angst. Ich war geneigt, „Das geht dich gar nichts an“ zu antworten, bemerkte aber gegenüber den stolz dreinblickenden Eltern, dass ihr Sohn schon gut sprechen könne. „Der Kiro ist so wissbegierig. Er möchte unbedingt in die Schule. Seine Erzieherinnen meinen, er wäre geistig schon so weit.“ Die Abgehärmte streichelte Ihrem Kiro übers Haar. Schlaffi nickte brav und schlürfte an seinem Bier.

Ich las die Karte. Dorsch gebraten mit Gurkengemüse und Bratkartoffeln. Genau das Richtige, dachte ich. Fisch wäre ja so eine Sache, meinte die Kiro-Mutter. Ich ahnte Schlimmes. In den folgenden zehn Minuten erfuhr ich, dass man eigentlich nur Karpfen essen könne. Die gebe es reichlich, würden kein Fischmehl fressen und nichts verdrecken. Dorsch zum Beispiel wäre kaum noch in der überfischten Ostsee vorhanden, würde aber wegen der Touristen gefangen. Sie sah mich an und fragte rhetorisch: „Ich weiß gar nicht, ob man überhaupt noch Fisch essen sollte.“

Ich nahm die Frage ernst. „Man sollte sie fragen, die Fische“, antwortete ich. Schlaffi gluckste. Kiro gab zu bedenken, dass Fische nicht sprechen können. „In der Tat“, antwortete ich „Wenn sie auf dem Teller kommen, können sie nicht mehr antworten. Auch an der Angel können sie nicht antworten. Wegen dem Haken im Maul.“ Kiro verstummte. Schlaffi verschuckte sich an seinem Bier und hustete. Die Abgehärmte wischte sich seine Bierdusche von der viel zu dicken Brille. Ich bestellte mir den Dorsch und empfahl ihr die Fischsülze. (olefisch)

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