Traumatisiert von einem persönlichen Erlebnis will ein Mann mit großem Aufwand ein neues Musikvideo zu Falcos Skandalhit „Jeanny“ drehen, um endlich zu bebildern, worum es in diesem Song seiner Meinung nach eindeutig geht - und was der damalige Clip aus finanziellem Kalkül verschwiegen hat. Während er einer TV-Journalistin erläutert, was er genau vorhat und warum er in dieses Projekt sein gesamtes Vermögen investiert und sich noch zusätzlich verschuldet hat, erscheint der von ihm engagierte Darsteller des Falco, der eine ganz andere Sicht auf die Dinge hat. Und auch die Frau in der (immer privater werdenden) Runde hat ihre durchaus eigene Sichtweise. Dann erscheint die Darstellerin der Jeanny und die Dreharbeiten könnten beginnen …
„Jeanny“ löste den bis dahin größten Skandal in der Geschichte der deutschen Popmusik aus. Weil der Titel angeblich eine Vergewaltigung mit Todesfolge verharmlose (bzw. sogar verherrliche), riefen mehrere Fraueninitiativen zum Boykott des Liedes auf, dem sich zahlreiche Rundfunkanstalten anschlossen. Da sowohl der Song als auch das Video aber auch andere Deutungen zulassen, kam es in der Öffentlichkeit zu hitzigen Debatten.
Das Stück von Dirk Heidicke behandelt die Skandalisierung von Kunst in den Medien, der Politik und der Netz-Gemeinde, die nur noch über Schlagworte und blitzlichthafte Ausschnitte funktioniert, ohne ein Kunstwerk in seiner Gesamtheit oder gar mitsamt aller Kontexte zu beurteilen. Von „Jeanny“ über Böhmermanns Erdogan-Gedicht bis hin zum neuen „Deutschland“-Video von Rammstein zieht sich eine aufsteigende Traditionslinie: der Aufschrei der Empörung erfolgt in Zeiten des Internets immer schneller und wird immer lauter und allgemeiner. Nur wenige kennen das jeweilige Kunstwerk in seiner Gänze, aber alle reden mit. Und der Künstler verdient daran.
Aber liegen kalkulierten Skandalen tatsächlich allein Verkaufsabsichten zugrunde? Oder wollen Künstler mitunter provozieren, um politische und gesellschaftliche Diskurse in Gang zu setzen? War das bei „Jeanny“ der Fall? Oder verweigert sich Kunst derart einfachen Antworten?