Als neulich die Postfrau klingelte, wollte ich wie gewohnt im Bademantel die Tür öffnen. Ich tat es nicht. Und war dann doch erschrocken über mich selbst. Ich bin keiner, der sich von Zeitungsmeldungen und Kampagnen beeinflussen lässt. Schon gar nicht, wenn es um langjährig gepflegte Routinen im Alltag geht. Eigentlich.
Der Bademantel ist so eine liebgewonnene Marotte von mir. Zu den wenigen Kinderbildern, die es von mir gibt, gehören die, die mich am Ostseestrand im Bademantel zeigen. Mit Kapuze, Sandeimer und Schippe sieht man mich glücklich in die Kamera lachen. Wurde ein Bademantel zu klein, brachte der Weihnachtsmann einen neuen. Immer waren sie aus Frottee, mal gestreift, mal gepunktet. Ich fand es großartig, wenn mich meine Mutti erst in den Mantel steckte und dann trocken und warm rubbelte.
Sehr genossen habe ich die Bademäntel, die im Wochenendhäuschen meiner Großeltern hingen. Jedes Mal, wenn ich zum nahe gelegen Badesee ging, warf ich mir einen über. Am Strand angekommen fand ich es erhaben, die Blicke meiner Altersgenossinnen auf mich zu ziehen. Welcher Teenie kam schon in einem Bademantel an den Strand? Und nach dem Baden war der Bademantel ein phantastischer Ersatz für die fehlenden Umkleidekabinen. Auch heute bin ich schamhaft genug, mich selbst am FKK-Strand noch im Bademantel aus- und anzuziehen. Nichts ist unwürdiger, als sich vor den Augen anderer in einem längeren Prozedere nackt zu machen oder umgekehrt.
Später waren meine Bademäntel nicht mehr nur aus Frottee. Ausgerechnet von meiner Oma bekam ich mal einen aus Seidenimitat. Den musste sie von einem vietnamesischen Händler gekauft haben. Jedenfalls war der Mantel mit Drachenmotiven bestickt. Er gefiel mir, war aber nichts für den Ostseestrand, da er weder wärmte noch zum Abrubbeln geeignet war. Ich testete ihn mal im Studentenwohnheim. Mit mäßigem Erfolg. Meine vietnamesische Nachbarin meinte, der Mantel wäre aus chinesischer Produktion. Von da an gab es für mich nur noch Bademäntel aus einheimischer Produktion und Frottee. Und jeden Tag.
Frühmorgens ohne Bademantel am Frühstückstisch? Undenkbar! Ohne Bademantel im Hotel, in der Sauna, im Garten - undenkbar! Ohne Bademantel die Post in Empfang nehmen? Nicht anstößig. Und dann kam die Geschichte mit Weinstein, Wedel und Co. Diese Ganoven brachten meinen geliebten Bademantel in Verruf. Alte Männer, die Frauen zu Einstellungsgesprächen aufs Hotelzimmer bitten und als Business-Look den Bademantel wählen. Manometer! Ich verzichte von nun an auf dieses herrliche Kleidungsstück. Jedenfalls solange bis ich alt, reich und mächtig bin. Und ich etwas mehr Brusthaar habe. (ole-im-bademantel)