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Der Vorstand des Netzwerks Freie Kultur vor dem einLADEN im Nordabschnitt: Philipp Schmidt (Geschäftsführer), Marco Dankel, Jacqueline Brösicke, Christian Szibor, Ulrike Löhr und Enrico Ebert
Kaum mehr als zwei Jahre ist es her, dass das Netzwerk Freie Kultur in den besonderen Zeiten der Pandemie aus der Taufe gehoben wurde.
Jaqueline Brösicke: Oh ja, das waren besondere Zeiten. Das Vereinsrechtliche ist zwar erst nach Corona passiert, aber wir haben schon davor zusammengesessen, einfach weil es notwendig war, weil dringend etwas passieren musste, damit die freie Kultur nicht den Bach runtergeht. Kernidee des Netzwerks war und ist es, Kultur in unserer Stadt zu ermöglichen.
Und jetzt, zwei Jahre später, so fühlt es sich an, ist die Not wieder groß. Bloß anders, Stichwort Haushaltssperre bei der Stadt.
Philipp Schmidt: Ja, aber so ein Netzwerk ist ja nicht nur dazu da, um Nöte zu lindern, wir wollen ja vor allem etwas aufbauen. Also, das eine ist das Momentum des Gründens, aber dann hatten wir ja schon in den Monaten vor der Gründung erlebt, wie schön es sein kann, wenn Kulturschaffende gemeinsam Projekte umsetzen, aber auch kooperativ mit der Stadtverwaltung umgehen. Das war auch ein Learning. Wir saßen damals hier im einLADEN mit der Kulturverwaltung, haben gemeinsam diesen Kultursommer besprochen, ihn anschließend umgesetzt und festgestellt, dass wir die Verwaltung brauchen, andererseits bei der Ausführung viel agiler als sie handeln können. Die Kombination war dann erfolgreich und führte im Kultursommer 2021 zu 300 Veranstaltungen in der Stadt.
Nun, von außen hat man auch den Eindruck, dass so eine Vereinigung von Freier Kultur ähnlich der Verbände in der Industrie ein mächtiges Organ ist, das gegenüber von Politik und Verwaltung anders auftreten kann, als ein Einzelner, dadurch viel besser wahr- und ernstgenommen wird.
PhS: So sehen wir das auch, so steht es auch in unserer Satzung und so gibt es diese Komponente im Selbstverständnis des Netzwerkes auch – neben anderem.
Christian Szibor: Das Ganze ist aus einer Notlage heraus entstanden, da rückt man naturgegeben zusammen. Wie beim Hochwasser 2013. Das war das Gründungsmomentum. Nur die Stadt hatte die Möglichkeit, damals dieses Geld beim Bund zu beantragen, auf der anderen Seite war sie nicht in der Lage, das mit Inhalt zu füllen. Das waren damals „magic moments“ für uns, das hat Spaß gemacht. Das war eine Aufbruchsstimmung, die es so vorher einfach nicht gegeben hat.
Dieses Gemeinsame kann man sicher auch in Zahlen ausdrücken. Wie hat sich das Netzwerk seit seiner Gründung 2021 entwickelt?
PhS: Es ist gewachsen. 2021 hatten wir 29 Gründungsmitglieder, heute sind wir 45.
Stichwort Homogenität. Die Tanzdemo im Oktober auf dem Alten Markt hat gezeigt, dass sich die Bedürfnisse innerhalb Freier Kultur – hier die festen Häuser, dort ortsungebundene Veranstalter – doch unterscheiden. Wie kriegt man das hin?
PhS: Es stimmt, dass die Interessen nicht überall gleich sind. Aber ich sehe vor allem die positiven Seiten der Entwicklung.
Also in diesem Jahr der Technikfonds und die Mikrobudgets als Möglichmacher?
PhS: Ja, was ich krass finde: wir haben erstmals unterjährig Geld für Mikroprojekte herausgeben können, das waren allein in diesem Sommer 17.000 Euro für 17 Projekte, auch haben wir für 37.000 Euro einen Technikfonds angelegt, mit allem, was man für Veranstaltungen benötigt: mobile Bühnen, Lastenfahrrad, Licht und mehr. Diese beide Maßnahmen zusammen bewirkten viel in der freien Szene. Bemerkenswert: Die aus den festen Häusern, die eigenes Equipment haben, freuen sich trotzdem, dass die anderen, wie etwa die Kulturbrücke, davon Nutznießer sind – einfach aus Solidarität.
Die Idee einer solchen vernetzten Kultur, die alle in der Stadt erreicht, an der auch alle Bürger der Stadt teilhaben sollen, ist ja schon vorher formuliert worden, in der Kulturcharta 2030.
JBr: Genau genommen, waren solche Ideen auch schon vor der Kulturcharta da ...
PhS: ... und heute heißt sie auch nicht mehr Kulturcharta, sondern Kulturstrategie 2030. Dass das alles dort drin steht, ist auch kein Zufall. Axel Schneider, der das Strategiepapier formuliert hat, hat dafür u.a. viele Gespräche geführt. Bei der Genese war die Freie Kulturszene also mit am Tisch.
ChS: Ich möchte nochmal auf die unterjährige Projektförderung zurückkommen, das war ein wichtiger Schritt. Das übliche Prozedere mit Antragstellung Ende September des Vorjahres, das geht mit jungen Leuten schwierig. Die müssen sich erstmal im Mai verlieben, dass sie Blütenträume haben und dann wollen sie im Sommer etwas veranstalten. Das ist jetzt möglich und das ist völlig neu.
JB: Diese Gelder können wir auch nur dadurch geben, weil wir Gelder generieren durch unseren „einLaden“, das ist ein Geschenk, das wir dank der Verwaltung und der Wobau haben. Es ist also ein Geben und Nehmen.
ChS: Und man braucht für so eine Ermöglichungskultur eine funktionierende Struktur. Damit so eine Vergabe nicht willkürlich wird, braucht es natürlich Kriterien und eines Entscheidungsgremiums. Das war ja auch die Forderung der Tanzdemo: „Kultur ermöglichen“, die Verwaltung so denken zu lassen, dass es einfacher und schneller geht.
PhS: Und Du brauchst hinterher auch eine Abrechnung. Auch bei uns. Ich entsinne mich noch des Anrufs der Bundeskulturstiftung im Herbst 2021: Die Frau meldete sich Freitagnachmittag, weil zwischen den von uns geplanten Einnahmen und Ausgaben eine Differenz von einem Cent bestand, Null-Komma-Null-Eins Euro. Das war einfach ein Rundungsfehler in der Excel-Tabelle. Aber es hat sie sehr beschäftigt.
Marco Dankel: Da hat das Telefonat schon mehr gekostet. Ich habe auch schon Briefe bekommen, wo es um 30 Cent ging, frankiert mit einer 70-Cent-Briefmarke.
Nun hat das Netzwerk Freie Kultur ja auch keinen Alleinvertretungsanspruch, in Magdeburg über freie Kultur zu sprechen, Stichwort Tanzdemo auf dem Alten Markt.
JBr: Genau, so ist es.
ChS: Ja, und das war für uns auch ein Erfahrungsprozess. Also die Erkenntnis: Was passiert eigentlich, wenn Teile des Netzwerks – in diesem Fall die freien Kollektive – mit Forderungen kommen, die existenzielle Interessenkonflikte mit anderen freien Kulturveranstaltern bringen, in diesem Fall der fest niedergelassenen Clubs. Das ist jetzt offenbar geworden. Ich finde es im Nachgang wichtig, dass wir in diese Situation gekommen sind. Dafür gibt es Lösungsansätze, da gilt es Kompromisse zu finden, das geht nicht allein über eine einfache Abstimmung. Aber ich bin guter Dinge, dass wir den dafür notwendigen Diskurs, den wir sehr bald führen müssen, den wir im Dezember aber nicht mehr schaffen, hinbekommen. Solche Zäsuren innerhalb eines Netzwerks kommen irgendwann zwangsläufig, die gilt es durchstehen, dann sind wir hinterher mit Erfahrung ausgestattet und insgesamt stärker. Diesen Hygieneprozess innerhalb des Netzwerks müssen wir machen, das geht nicht mit einem Fingerschnips.
Interessant, man könnte eher vermuten, dass die Herausforderung derzeit die Weiterfinanzierung des Netzwerks ist. Die Drucksache 0446/23 dafür liegt ja am 11. Dezember im Stadtrat, und im Finanzausschuss gab es zuvor keine Empfehlung, sondern ein Patt …
JB: Ja, das ist jetzt akut. Wenn es für diese Drucksache am 11. Dezember keine Zustimmung im Stadtrat gibt, dann müssen wir diesen Verein abwickeln.
MD: Deshalb ist es in solchen Momenten einfach wichtig, deutlich zu machen, was wir als Netzwerk geschafft haben.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Netzwerk Freie Kultur
Die Grundidee des Vereins entstand während der Pandemie bei mehreren Zoom-Meetings von verschiedenen Vertretern der freien Kulturszene Magdeburgs. Das Netzwerk versteht sich als Plattform für Künstler und Kulturschaffende, die regelmäßig in Magdeburg öffentlich wirksam sind. Also für Schauspieler, Theaterbetreiber, Veranstalter, für Clubbesitzer, für Festivalkollektive, für Soziokulturelle Zentren, für Heimatvereine wie für studentische Initiativen, für Bands oder Chöre … Diese und viele weitere freie Kulturakteure und -akteurinnen sind herzlich eingeladen, sich im Netzwerk zu engagieren. Zur Gründung 2021 waren es 29 Mitglieder, heute sind es 45.