Die Schauspielerin Cornelia Gutermann-Bauer macht in der Figur der „Kassandra“ eine über dreitausendjährige Geschichte beeindruckend sichtbar. Ein herausgehobenes Schicksal wird dargestellt. Es gehört der Vergangenheit an, ist fest verankert in einer frühen Zeit der Menschheitsgeschichte und rückt doch, schwebend zwischen Mythos und Utopie, als Erlebnis unglaublich nahe. Als Kriegsbeute des Griechenkönigs Agamemnon erinnert sich Kassandra an die Ereignisse um den Krieg in Troja, an ihre Bemühungen in dieser Vorkriegs- und Kriegszeit als Mensch, als Frau zu leben. Die behütete Königstochter glaubte sich glücklich, bis allmählich feine Risse das Bild des Königshauses fragwürdig erscheinen lassen. Was geht hinter den Fassaden der Macht vor sich? Wer ist der geliebte Vater, der König, wirklich? Kassandra wird hellhörig. Sie wird zur Seherin. Sie schildert das Patriarchat in seinen subtilsten und grausamsten Formen, wie Frauen zum Objekt gemacht werden, wie allmählich ein Feindbild entsteht, wie Konflikte emotionalisiert werden, wie der männliche Begriff der Ehre schließlich den Krieg unvermeidlich werden lässt.
Die eigens für die Bühne geschaffene und von Christa Wolf autorisierte Textfassung stammt von Günter Bauer, der auch Regie führt. Gerade seine Lichtregie schafft eine neue Dimension der Geschichte, macht die Faszination des Abends aus.